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Per­so­nen­stands­recht und Eman­zi­pa­ti­on

Im 18. Jahr­hun­dert setz­te unter den Fürs­ten durch den Ein­fluss auf­klä­re­ri­scher Ideen eine Neu­de­fi­ni­ti­on des herr­schaft­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses ein. In un­ter­schied­li­cher Aus­prä­gung le­gi­ti­mier­ten sich eu­ro­päi­sche Fürs­ten nicht mehr al­lein über das Got­tes­gna­den­tum, son­dern zu­neh­mend über ihren Dienst an der All­ge­mein­heit. Damit ent­fiel zur Herr­schafts­le­gi­ti­ma­ti­on die Not­wen­dig­keit einer kon­fes­sio­nell ho­mo­ge­nen Be­völ­ke­rung. Statt­des­sen ver­la­ger­te sich der Fokus auf eine ef­fi­zi­en­te­re Ge­stal­tung des Staats­we­sens, die mit einer ein­heit­li­chen Ge­setz­ge­bung sowie der Er­zie­hung und Bil­dung der Be­völ­ke­rung ein­her­ging. Diese Ak­zent­ver­schie­bung im herr­schaft­li­chen Selbst­ver­ständ­nis er­mög­lich­te eine suk­zes­si­ve Gleich­stel­lung der jü­di­schen mit der christ­li­chen Be­völ­ke­rung.
Zu­nächst galt es je­doch im Dienst einer ef­fi­zi­en­ten Staats­ver­wal­tung Sta­tis­ti­ken zu Land und Leu­ten an­zu­le­gen. Hier­zu ge­hör­te auch die sys­te­ma­ti­sche Er­fas­sung der jü­di­schen Be­völ­ke­rung. So ver­lang­te bei­spiels­wei­se das kur­säch­si­sche Amt Barby eine „Ta­bel­le über die An­zahl der ge­trau­ten, ge­bo­re­nen und ge­stor­be­nen jü­di­schen Per­so­nen im Amt Barby, 1766–1785“. Hier­bei ging es je­doch zu­nächst nur um die sta­tis­ti­sche und noch nicht um die in­di­vi­du­el­le Er­fas­sung der jü­di­schen Be­völ­ke­rung.
 

Nach der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on wur­den in meh­re­ren deut­schen Ter­ri­to­ri­al­staa­ten Pa­ten­te und Edik­te er­las­sen, die der jü­di­schen Be­völ­ke­rung erst­mals staats­bür­ger­li­che Rech­te zu­ge­stan­den. Wich­ti­ge Vor­aus­set­zung dafür war das Füh­ren fes­ter Fa­mi­li­en­na­men, um Ein­zel­per­so­nen ein­deu­tig iden­ti­fi­zie­ren und er­fas­sen zu kön­nen. Bis dato war das Füh­ren von Familien-​ oder Bei­na­men in­ner­halb der jü­di­schen Be­völ­ke­rung nicht ge­re­gelt. Mit der ge­setz­li­chen Gleich­stel­lung muss­ten je­doch alle jü­di­schen Per­so­nen unter fes­ten Fa­mi­li­en­na­men re­gis­triert wer­den. Zu die­sem Zweck reich­te der Amt­mann von San­ders­le­ben bei der Lan­des­re­gie­rung in Des­sau ein „Ver­zeich­nis der von den is­rae­li­ti­schen Ein­woh­nern zu San­ders­le­ben er­wähl­ten blei­ben­den Fa­mi­li­en­na­men, 1822“ ein.
Nach dem Ende der na­po­leo­ni­schen Herr­schaft führ­ten die Ver­hand­lun­gen des Wie­ner Kon­gres­ses 1815 zum Deut­schen Bund zu kei­ner Ei­ni­gung über den zu­künf­ti­gen Rechts­sta­tus der jü­di­schen Be­völ­ke­rung, son­dern zu einer Ein­schrän­kung, teil­wei­se Zu­rück­nah­me der in ein­zel­nen Staa­ten be­reits zu­ge­stan­de­nen Rech­te.
Wäh­rend des Vor­märz wur­den li­be­ra­le For­de­run­gen nach Rechts­si­cher­heit, Gleich­heit vor dem Ge­setz und damit auch nach recht­li­cher Gleich­stel­lung der jü­di­schen Be­völ­ke­rung mit Nach­druck vor­ge­tra­gen. Die eu­ro­päi­schen Re­vo­lu­tio­nen der Jahre 1848 bis 1850 brach­ten schließ­lich vie­ler­orts Ver­fas­sun­gen und eine darin vor­ge­se­he­ne ge­setz­li­che Gleich­stel­lung. Unter dem Ein­druck der re­vo­lu­tio­nä­ren Er­eig­nis­se im März 1848 sah sich auch Her­zog Leo­pold Fried­rich von Anhalt-​Dessau ge­zwun­gen, auf der­ar­ti­ge For­de­run­gen ein­zu­ge­hen. Das neu er­rich­te­te Her­zog­lich An­hal­ti­sche Staats­mi­nis­te­ri­um er­ließ am 10. April 1848 die hier prä­sen­tier­te „Ver­ord­nung, die nä­he­re Aus­füh­rung der völ­li­gen Gleich­stel­lung der Is­rae­li­ten mit den Chris­ten in allen bür­ger­li­chen Rech­ten und Pflich­ten be­tref­fend“, durch die das in Anhalt-​Dessau noch be­stehen­de Schutz­ju­den­ver­hält­nis be­sei­tigt wurde. Im Ok­to­ber 1848 wurde schließ­lich die ge­for­der­te Ver­fas­sung ein­ge­führt, die je­doch be­reits im No­vem­ber 1849 wie­der auf­ge­ho­ben wurde.
Preu­ßen da­ge­gen blieb in der Folge eine kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie, deren Ver­fas­sung das Recht auf Re­li­gi­ons­frei­heit ver­bürg­te. Dass die­ser Um­stand noch nicht mit einer fak­ti­schen Gleich­stel­lung jü­di­scher Per­so­nen ein­her­ging, zeigt das Bei­spiel der „Aus­ein­an­der­set­zung über die Zu­las­sung jü­di­scher Rit­ter­guts­be­sit­zer zu den Kreis­ta­gen in der Pro­vinz Sach­sen, 1859“.