„Organisations- und Aufmarschplan“ für die Kundgebung anlässlich der Übergabe der Gedenkstätte für jüdische Opfer des Faschismus auf dem Gelände der ehemaligen halleschen Synagoge am Großen Berlin am 26.9.1965
Quellenkritische Einordnung
Die Bezirksleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war das höchste Organ der Bezirksorganisation der Partei und gegenüber der staatlichen Leitung, dem Rat des Bezirkes, weisungsbefugt. Das Sekretariat der Bezirksleitung mit dem 1. Sekretär setzte sich aus mehreren hauptamtlichen Sekretären der Bezirksleitung und einigen ehrenamtlich tätigen Mitgliedern wie dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Vertretern der Gewerkschaft und gesellschaftlicher Organisationen zusammen und tagte in der Regel 14-tägig.
Zu den Aufgaben der Bezirksleitung und ihres Sekretariates gehörte die Führung der staatlichen Verwaltungsorgane und der untergeordneten Parteiorganisationen. Das in den Sitzungen beratene breite Spektrum von Themen des politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Lebens wurde meist durch vorab eingereichte Vorlagen vorbereitet. Eine analoge Struktur gab es auf Ebene der Stadt Halle mit der SED-Stadtleitung und den Stadtbezirksleitungen und ihren Sekretariaten.
Vorlagen mit Bezug zur jüdischen Geschichte finden sich in den Protokollen äußerst selten. Ob es in den Sekretariatssitzungen zu inhaltlichen Debatten oder Kontroversen bezüglich der eingereichten Vorlagen kam, ist aus den Beschlussprotokollen kaum zu entnehmen. Inwieweit die Vorlagen in der beschlossenen Form tatsächlich umgesetzt wurden, sollte deshalb nach Möglichkeit anhand weiterer Quellen überprüft werden.
Die Hintergründe der Errichtung der Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus sind der von der SED-Stadtleitung Halle, Abteilung Parteiorgane, erarbeiteten Vorlage vom 14. September 1965 nicht zu entnehmen. Diese bezieht sich nur auf die organisatorischen Abläufe.
Enthalten sind Vorgaben zu den geplanten 5.000 Teilnehmern aus Verwaltungen, Betrieben, Schulen und Wohnbezirken, sowie zu den Stellplätzen in den Stadtbezirken, den Stellzeiten und dem Marschplan. Weitere organisatorische Details betreffen die Ausgestaltung des Festplatzes und den Ablauf der Veranstaltung, wobei jeweils die für die Organisation verantwortlichen Struktureinheiten der SED-Stadtleitung Halle sowie des Rates der Stadt Halle und zuständige Mitarbeiter benannt sind.
Der Vorlage beigefügt ist auch das Redemanuskript des Oberbürgermeisters der Stadt Halle, Hans Pflüger (1921–1988, Oberbürgermeister 1957–1984). Auffällig ist, dass das Schicksal der jüdischen Bevölkerung Halles während des Nationalsozialismus darin nicht die dem Anlass angemessene Würdigung erfährt. Im Vordergrund steht vielmehr die Betonung der DDR als antifaschistischer Staat und moralisch überlegener Gegenentwurf zur Bundesrepublik.
Beigefügt sind ebenfalls die für die Rezitation vorgesehenen Gedichte „Den Toten“ des jüdischen Schriftstellers und Dramatikers Ernst Toller (1893–1939) sowie „Entsinne dich“ des ebenfalls jüdischen Schriftstellers Stephan Hermlin (1915–1997). Als Programmpunkt vorgesehen waren auch „kurze Ansprache und Dank“ eines nicht namentlich genannten Vertreters der jüdischen Gemeinde Halle.
Die Vorlage wurde dem Protokoll nach in der Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Halle am 23. September 1965 unter dem Tagesordnungspunkt „5. Material zur Gedenkfeier an der Synagoge der jüdischen Gemeinde“ innerhalb einer Viertelstunde behandelt und bestätigt. Dabei anwesend waren auch der erste Sekretär der SED-Stadtleitung Halle und der Oberbürgermeister. Die Diskussion ist nicht protokolliert.
Die um 1700 neu angesiedelte jüdische Gemeinde Halles erwarb in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Baugrundstück nahe der südlichen Altstadt am Großen Berlin/ Kleine Brauhausgasse. Die im September 1870 geweihte Synagoge musste bereits 15 Jahre später wegen der rasant wachsenden Mitgliederzahlen erweitert werden. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde die Synagoge zerstört und auf Kosten der jüdischen Gemeinde 1940 abgerissen. Gerettet werden konnte nur das Westportal. Ein Großteil der ehemals in Halle ansässigen jüdischen Bürgerinnen und Bürger wanderte aus oder überlebte den Holocaust nicht.
Nach dem Krieg wurde die frühere Trauerhalle des jüdischen Friedhofs als Ersatz für die zerstörte Synagoge umgebaut und konnte 1953 geweiht werden. Durch die Wahl des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle, Hermann Baden (1883–1962) zum Vorsitzenden beziehungsweise Präsidenten des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR im Jahr 1953 war Halle zugleich Sitz des Verbandes geworden. Mit dem Tod Badens und der Ernennung eines neuen Vorsitzenden ging der Sitz nach Dresden über. In den 1960er Jahren existierte in Halle nur noch eine kleine, stark überalterte jüdische Gemeinde.
Auf Initiative der SED und der staatlichen Behörden Halles wurde 1965 am früheren Standort der Synagoge ein Mahnmal zum Gedenken an die jüdischen Opfer errichtet, in welches das Portal integriert wurde. Es trug die Inschrift „Den jüdischen Opfern des faschistischen Terrors zum Gedenken“. Die Festveranstaltung fand im Beisein von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Halle und Vertretern des Staatsapparates sowie der Parteien und Massenorganisationen des Bezirkes statt, darunter Horst Sindermann als Sekretär der SED-Bezirksleitung (1915–1990, in dieser Funktion 1963–1971) und der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Halle, Otto Leopold (1901–1975, im Amt 1958–1966).
Offenbar wurde die Festansprache des Oberbürgermeisters im Nachhinein noch einmal deutlich überarbeitet, wie der Berichterstattung in der Bezirkszeitung „Freiheit“ vom 27. September 1965 zu entnehmen ist. Stellvertretend für die vielen Opfer unter der jüdischen Bevölkerung Halles wurde an den jüdische Arzt Dr. Flörsheim und die 70-köpfige Familie Hirsch erinnert, von der nur drei Mitglieder überlebten.
Den Dank der jüdischen Gemeinde für das neue Mahnmal sprach der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Franz Kowalski, aus. Das Kaddisch-Gebet sprach zum Abschluss der Feierstunde der jüdische Oberkantor Werner Sander, Gründer des Leipziger Synagogalchores.
20 Jahre später wurde das umliegende Wohngebiet neu bebaut und der Platz umgestaltet. Anstelle der Gedenkstätte von 1965 wurde ein Mahnmal in Form des Eingangsportals errichtet, welches noch heute existiert.
Überlieferungsgeschichte
Die Protokolle der Bürositzungen beziehungsweise später der Sekretariatssitzungen bilden den Kern der Überlieferung der SED-Bezirksleitung Halle. Zusammen mit den entsprechenden Vorlagen wurden sie an das SED-Bezirksparteiarchiv Halle abgegeben. 1992 erfolgte auf der Grundlage eines Einbringungsvertrages zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und dem Landesvorstand der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) die Übergabe des SED-Bezirksparteiarchivs Halle an das Landesarchiv.
Die Erschließungsangaben der Protokolle der Sekretariatssitzungen der SED-Bezirksleitung Halle finden Sie hier.