Fragment einer Tora
Quellenkritische Einordnung
Im Rahmen jüdischer Gottesdienste finden am Ruhetag Schabbat und an den Feiertagen, in einigen Gemeinden auch an Montagen und Donnerstagen, den früheren israelitischen Markttagen, öffentliche Lesungen aus der Tora (auch Thorah, Torah) statt. Für Lesungen wird eine Torarolle dem Toraschrein entnommen, der sich an der Ostwand der Synagoge befindet. Dort stehen die mit Schmuck versehenen Torarollen eingehüllt in kunstvoll bestickte Mäntel aus edlem Stoff. In einer feierlichen Prozession wird die Torarolle zur Bima, dem Vorlesepult, getragen. Über das gesamte Jahr verteilt werden, in Wochenleseabschnitte gegliedert, sämtliche Kapitel der Tora gelesen.
Die Tora stellt den ersten Teil des Tanach, der hebräischen Bibel, dar. Sie besteht aus den fünf Büchern Moses, die im Hebräischen nach ihren Anfangsworten genannt werden (zum Beispiel „Bereschit“ als „im Anfang“, Genesis 1,1).
Der Begriff „Tora“ kann sinngemäß als „Weisung“, aber auch als „Gesetz“, „Lehre“ oder „Gebot“ gedeutet werden. Ausgehend von der göttlichen Schöpfung der Welt werden in der Tora die Urgeschichte der Menschheit und die Geschichte der Väter und Josefs erzählt, von der Versklavung des Volkes Israel in Ägypten, der Wanderung in der Wüste und der Erscheinung Gottes am Berg Sinai berichtet. Die Tora endet mit dem Buch „Devarim“ mit dem Tod Moses. In die Schilderung der Handlung sind religiös-rechtliche und kultische Weisungen eingefügt, so auch der Inhalt der zehn Gebote.
Torarollen müssen nach strengen Regeln (Beschreibstoff, Layout, Tinte, Schreibgerät, Schrift) durch einen besonders ausgebildeten Schreiber (Sofer) handgeschrieben werden. In einer Torarolle werden nur die Konsonanten geschrieben, während die Vokale und die richtige Vortragsweise dem Vorlesenden (Baal Qerija) auswendig bekannt sein müssen.
Als grundlegende und wichtige Quellen der jüdischen Religion sind ältere Torarollen und Fragmente von Torarollen auch in den Beständen und Sammlungen von Archiven, Museen und Bibliotheken erhalten geblieben. Nicht selten sind sie dort nur noch fragmentarisch überliefert, was auch auf die hier präsentierte Handschrift zutrifft.
Inhaltliche Einordnung
Auf dem Pergamentfragment ist der typische unpunktierte hebräische Text einer Torahandschrift erkennbar. Dafür, dass das Fragment Teil einer Torarolle war, spricht, dass er eben unpunktiert ist und sogenannte gekrönte Buchstaben enthält (tagin). Siebender insgesamt 22 Buchstaben des hebräischen Alphabetes erhalten eine solche Krönung (Menachot 29b).
Das vorliegende Fragment beginnt mit dem Vers Genesis 3,13 und endet mit dem Vers Genesis 5,11. Diese Verse stammen aus dem ersten Buch Moses, im hebräischen „Bereschit“, deutsch „Im Anfang“.
Die im Landesarchiv Sachsen-Anhalt vorliegende Handschrift beginnt mitten in der bekannten Erzählung vom Sündenfall des Menschen mit dem Vers: (Genesis 3,13) „Und es sprach Adonai, Gott, zur Frau: ,Was hast du getan?‘ Und die Frau sprach: .Die Schlange hat mich berückt und ich aß‘.“ Gott stellt Eva zur Rede, weil sie verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis aß und auch Adam davon zu essen gab. Eva beschuldigt die Schlange, sie dazu verführt zu haben. Daraufhin verflucht Gott die Schlange, die fortan als Symbol für das Böse gilt, und verstößt die ersten Menschen Adam und Eva aus dem Paradiesgarten Eden. Gott bestraft die Menschen, indem sich die Kräfte der Natur gegen sie stellen. Sie erfahren von nun an Leid, Schmerzen und Qualen.
Es folgt die Geschichte der ersten zwei Söhne von Adam und Eva, Kain und Abel. Wegen einer von Gott nicht gewürdigten Opfergabe erschlägt Kain seinen Bruder Abel aus Neid und Missgunst. Der Textauszug endet mit Berichten über die Nachkommen von Kain und seinem jüngeren Bruder Set.
Überlieferungsgeschichte
Das vorgestellte Fragment einer Torarolle gehört zu den Sammlungen des Museums Synagoge Gröbzig, dessen umfangreiche archivalische Überlieferung zur jüdischen Geschichte und Gröbziger Stadtgeschichte der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt im Dezember 2017 zunächst provisorisch übergeben wurde und dort nun seit 2019 als Depositum „E 224 Stadt Gröbzig“
verwahrt wird.
Die Handschrift und weitere Quellen aus dem genannten Depositum können online recherchiert und im Lesesaal in Dessau eingesehen werden.