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Boykott jüdischer Firmen in Gardelegen und Schönebeck, 1934

Quellenkritische Einordnung

Nachdem schon im ersten Halbjahr 1933 zahlreiche Boykottaktionen im Deutschen Reich inszeniert worden waren, traten diese zwar in den folgenden Monaten nicht mehr so gehäuft auf, in vielen Orten zettelten jedoch Funktionsträger der NSDAP und ihrer Gliederungen weiterhin Boykotte jüdischer Firmen an. Um sich dieser Angriffe zu erwehren, wandten sich die betroffenen Geschäftsleute an die Behörden. Dokumente über derartige Vorgänge wurden von diesen zumeist zusammen mit Beschwerden und Einsprüchen anderer Gewerbetreibender abgelegt, so wie zum Beispiel bei der Regierung Magdeburg. In der von dieser geführten Akte C 28 If, Nr. 935 Bd. 1 finden sich mehrere Beispiele für Aktionen gegen jüdische Firmen. Sie mögen auf den ersten Blick vielleicht nicht schwerwiegend erscheinen, für die Inhaber stellten sie jedoch nicht nur Akte der Einschüchterung, sondern oftmals auch eine existenzielle Bedrohung dar, da derartige Aktionen das Kaufverhalten der Bevölkerung nachhaltig beeinflussten. Weitere Fälle von Boykottierungen, in denen sich jüdische Geschäftsleute beschwerdeführend an Behörden gewandt hatten, sind in Akten der Allgemeinen Abteilung des Oberpräsidenten überliefert – beispielsweise in der Akte C 20 I, Ib Nr. 2678 Bd. 3.

Inhaltliche Einordnung

Ein wohl typisches Beispiel für Versuche örtlicher NSDAP-Funktionäre, Inhaber jüdischer Firmen in ihrer Geschäftstätigkeit zu behindern und einzuschüchtern, ist die Boykottierung der jüdischen Fahrrad- und Motorradhandlung und Tankstelle des A. Behrens in Gardelegen. Aktenkundig wurde dieser Fall, als sich der Landesverband Mitteldeutschland des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e. V. am 2. November 1934 mit einer Beschwerde an die Regierung Magdeburg wandte und diese zum Einschreiten aufforderte. Der Verband berichtete über die wiederholten Versuche des Kreiswalters der DAF (Deutsche Arbeitsfront) des Kreises Gardelegen, Kunden davon abzuhalten, an der Tankstelle von Behrens zu tanken oder in dessen Geschäft einzukaufen. Als Zeuge wurde ein Mitarbeiter der Firma benannt, der sich bereits mit einer Beschwerde an den Gauwalter der DAF gewandt hatte. Dieser hatte den Mitarbeiter in seiner Antwort lediglich mit propagandistischen Allgemeinplätzen abgespeist und ihm angeboten, eine andere Arbeitsstelle zu besorgen, wenn die Firma schließen müsse. Zur Klärung der Angelegenheit wies die Regierung die Polizeibehörde in Gardelegen daraufhin an, den Zeugen, den Firmeninhaber Hermann Behrens und den Kreiswalter zu vernehmen. Während Letzterer sein Handeln rechtfertigte, er hätte nur Personen angesprochen, die das Parteiabzeichen (der NSDAP) oder eine SA-Uniform getragen hätten, beschrieben Firmeninhaber und Zeuge das Vorgehen des Kreiswalters nur sehr zurückhaltend, was die Vermutung nahelegt, dass beide bereits eingeschüchtert worden waren. Der zum Bericht aufgeforderte Landrat sah sich keineswegs zu nachhaltigem Eingreifen aufgefordert und verharmloste: Er wolle „demnächst“ mit dem Kreiswalter sprechen und „versuchen, ihn zu veranlassen, dass er die Boykottmaßnahmen möglichst einstellt, mindestens sich aber Beschränkung im Interesse des inneren Friedens auferlegt“. Und so antwortete die Regierung Magdeburg denn auch dem Zentralverein am 16. Januar 1935, dass das Handeln des Kreiswalters nicht als Boykott anzusehen sei, dies wäre es erst, wenn er auch „Nicht-Parteigenossen vom Einkauf in dem jüdischen Geschäft abhalten würde“.

Besonders aktiv hinsichtlich der Boykottierung jüdischer Firmen war offensichtlich die Ortsgruppe Schönebeck der NS-Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen (NS-Hago). Sie ließ im Herbst 1934 vor dem Kaufhaus Conitzer & Co. in Schönebeck Posten aufziehen, die die Kunden beobachteten, deren Namen notierten und diesen zur weiteren Einschüchterung ein Schreiben zusandten. Dies führte zu starkem Umsatzrückgang des Kaufhauses, so dass sich der Inhaber des Kaufhauses, Rudolf Aron Conitzer, gezwungen sah, hiergegen mit einer Beschwerde bei der dortigen Polizei vorzugehen.

Ebenfalls von der ortsansässigen NS-Hago durchgeführt wurde der Boykott der Schönebecker Firma Max Schlesinger. Belegbar ist dies durch die Beschwerde der Großhandels-GmbH (Grohag) Leipzig, die sich im November und Dezember 1934 an den Reichs- und Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit wegen „Störung des Geschäftsverkehrs“ der zu ihrem Verband gehörenden Schönebecker Firma wandte. So seien am 2. Adventssonntag des Jahres 1934 eine „Postenkette von 5 bis 6 Mann“ vor dem Geschäft aufgezogen sowie Kunden belästigt worden, was zu starken Umsatzschmälerungen geführt hätte.

Der Minister beauftragte daraufhin die Regierung Magdeburg mit der Untersuchung der Vorfälle und erklärte zugleich, dass eine Unterscheidung zwischen jüdischen und arischen Firmen nicht durchführbar sei, da diese das „wirtschaftspolitische Ziel der Sicherung und Vermehrung der Arbeitskräfte schwer gefährden“ würde. Die Regierung Magdeburg spricht in ihrer Antwort an die Grohag von „angeblichen Eingriffe[n]“ und teilt lapidar mit, dass die zuständigen Stellen angewiesen worden seien, ähnliche Vorfälle künftig zu unterbinden.

Überlieferungsgeschichte

Zu den Folgen der Boykotte und zur weiteren Entwicklung der jüdischen Firmen sind im Landesarchiv häufig nur wenige Quellen überliefert. Hierbei handelt es sich zumeist um Listen, in denen die jüdischen Firmen eines Verwaltungsbezirks erfasst sind und vermerkt wurde, ob diese von einem „Ariseur“ übernommen oder zum Beispiel wegen bereits ausreichend in der Branche vorhandener Geschäfte geschlossen worden sind. Zu einigen jüdischen Firmen – darunter auch zum Schönebecker Kaufhaus Conitzer & Co. – liegen jedoch Akten der Regierung Magdeburg vor, welche die Arisierung der Firmen in den Jahren 1938/39 ausführlich dokumentieren. Auch in Akten der Industrie- und Handelskammern und der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Mitteldeutschland finden sich Informationen zu jüdischen Firmen. Weitere Unterlagen zu Arisierungen könnten im Landesarchiv Berlin und im Bundesarchiv sowie je nach Sitz einer Firma im zuständigen kommunalen Archiv überliefert sein.