Statistik, Wirtschaft und Topographie
Die napoleonische Herrschaft verlieh wichtigen Prinzipien der Französischen Revolution wie der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und der Aufhebung aller Standesunterschiede Nachdruck. Damit einher ging die Forderung, dass jeder Bürger individuelles Eigentum besitzen und am Wirtschaftsleben teilhaben kann. Eine wichtige Voraussetzung für gleiche Rechte und Pflichten aller Bürger dem Staat gegenüber waren allgemeingültige gesetzliche Regelungen für Gesellschaft und Wirtschaft. In den direkt oder indirekt der napoleonischen Herrschaft unterstehenden Staaten bildete dafür der Code civil bzw. Code Napoléon die gesetzliche Grundlage. Durch die Trennung von Staat und Kirche und die Liberalisierung der Wirtschaft (unter anderem durch Abschaffung des Zunftwesens) gewährte der Staat allen Bürgern eine freie Religionsausübung sowie zugleich eine freie Beteiligung an Wirtschaft und Gesellschaft.
Damit verband sich eine intensivierte administrative Durchdringung der Religionsausübung und der Wirtschaftstätigkeit. So regelte etwa das Königreich Westphalen die Aufsicht über den jüdischen Gottesdienst, um die in der Konstitution verankerte freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen Religionsgemeinschaften zu gewährleisten. Dafür wurde unter anderem ein „Verzeichnis der in der Kommune Salzwedel wohnenden Israeliten“ angefertigt.
Im Bereich der Wirtschaft gab es vielerorts bereits vor der napoleonischen Einflussnahme Regelungen zur Förderung des Wirtschaftslebens, die schließlich in eine Gleichstellung der jüdischen Handeltreibenden mündeten. Bereits 1772 hatte Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen ein „Regulativ wegen Erleichterung des Meß-Handels der ausländischen Juden“ erlassen, um den Messehandel in Leipzig und Naumburg zu fördern. Nach dem 1806 erfolgten Beitritt Sachsens zum Rheinbund wurden die jüdischen Messehändler hinsichtlich der Abgaben den christlichen An- und Verkäufern gleichgestellt.
Die Liberalisierung der Wirtschaft, die Abschaffung des Zunftwesens und die Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Religionsfreiheit öffneten der jüdischen Bevölkerung den Weg in neue Erwerbsfelder, die ihnen zuvor durch das Zunftwesen versperrt waren. Gleichzeitig wurden auch im 19. und 20. Jahrhundert Stereotype weitergepflegt. Die für die jüdische Bevölkerung zuvor eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten veranlassten viele Juden, den Beruf des Geldverleihers zu ergreifen. Obgleich ihre Tätigkeit für das Funktionieren der Wirtschaft von zentraler Bedeutung war, bot die Diffamierung als „Geldjuden“ immer wieder Vorwände, um Schulden gegenüber jüdischen Geldleihern nicht zurückzuzahlen. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert die „Klage des Bankiers Sußmann Heinemann in Magdeburg gegen Oberstleutnant von dem Knesebeck zu Langenapel wegen Geldschulden“.
Die gesetzliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung und die damit einhergehende systematische Erfassung jüdischen Lebens lassen sich auch an der Entwicklung von Stadtplänen nachvollziehen. Obwohl eine jüdische Bevölkerung in Dessau seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegt ist, lassen sich auf den Stadtplänen lange Zeit keine Hinweise dazu finden. Erst ab dem 19. Jahrhundert werden die wichtigsten Orte jüdischen Lebens auf den Karten berücksichtigt, so etwa auf einem „Plan der Stadt Dessau aus dem Jahr 1809“.