Tabelle über die Anzahl der getrauten, geborenen und gestorbenen jüdischen Personen im Amt Barby, 1766–1785
Quellenkritische Einordnung
Im 18. Jahrhundert setzte unter den Fürsten durch den Einfluss aufklärerischer Ideen eine Neudefinition des herrschaftlichen Selbstverständnisses ein. In unterschiedlicher Ausprägung legitimierten sich europäische Fürsten nicht mehr allein über das Gottesgnadentum, sondern zunehmend über ihren Dienst an der Allgemeinheit. An der Spitze eines nach den Gesetzen der Vernunft organisierten Staates nahmen sie für sich in Anspruch, dem Gemeinwohl mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse bestmöglich zu dienen. Damit entfiel zur Herrschaftslegitimation die Notwendigkeit einer konfessionell homogenen Bevölkerung. Stattdessen verlagerte sich der Fokus auf eine einheitliche Gesetzgebung und die Erziehung und Bildung der Bevölkerung). Wissenschaft und Forschung dienten nicht mehr alleine der Zierde der Fürsten, sondern insbesondere einer effizienten Verwaltung. Hierfür wurden zahlreiche Daten des Herrschaftsgebiets erhoben. Dazu gehörte die systematische Erfassung der Bevölkerung.
So musste auch der jüdische Schulmeister Heyman Ahron aus der heute im Salzlandkreis gelegenen Stadt Barby am 9. April 1786 beim kursächsischen Amt Barby die verlangte „Anzeige derer bey der Judenschafft zu Barby getraueten, gebohrenen und gestorbenen“ für die Jahre von 1766 bis 1785 einreichen, die laut Vermerk dort am 10. April 1786 einging und in eine Sachakte aufgenommen wurde, die folgenden zeitgenössischen Titel trägt: „Amts Barby Acta. Die einzureichende Jahres-Tabellen über die bey hiesiger Judenschafft Getrauten, Gebor[e]nen u[nd]. Gestorbenen, samt was deme anhängig betr[effend]. Erg[angen] A[nn]o 1786–1807“.
Inhaltliche Einordnung
Eine Tabelle über den sich jährlich verändernden Anteil der jüdischen Bevölkerung in Barby war von den Beamten des Amtes Barby nach vorgegebenem Schema alljährlich am kursächsischen Hof in Dresden einzureichen. Diese vom Kurfürstentum Sachsen zentral organisierten statistischen Erhebungen erfolgten nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges zum Ausbau des kursächsischen Territorialstaates und lieferten genauere Informationen über den inneren Zustand des Staatswesens und die zahlenmäßige Entwicklung der jüdischen Bevölkerung auf dem Land.
Seitdem Kurfürst Friedrich August von Sachsen das Mandat „Einschränkung der Anzahl derer Juden, und ihres Handels“ am 12. August 1746 erlassen hatte, war die Ansiedlung von jüdischen Familien im Kurfürstentum Sachsen ohne schriftliche Konzession des Landesherrn grundsätzlich nicht mehr möglich.
Unter dem Nachfolger Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen wurde nach 1746 das Amt Barby in die bereits bestehende Ämterstruktur des Kurfürstentums Sachsen eingeordnet. Er akzeptierte, dass sich in Barby bereits seit vielen Jahrhunderten jüdische Familien niedergelassen hatten und Handel trieben, ermöglichte Neuansiedlungen jedoch nur mit schriftlicher Konzession. Dies änderte sich erst nach seinem Tod unter der Herrschaft von Prinz Xaver von Sachsen, dem Vormund des minderjährigen Kurfürsten von Sachsen und einer Anzeige eines Handelsmannes aus Barby, der sich durch die Handel treibenden Juden beeinträchtigt fühlte. Prinz Xaver erließ am 3. April 1765 den Befehl „Wegen Eliminirung derer zu Barby sich aufhaltenden Juden“ an den kursächsischen Beamten zu Barby. In diesem Befehl heißt es unter anderem: „Als begehren Wir […], du wollest alle und jede zu Barby sich aufhaltende Juden, ohne Unterschied sofort eliminiren, oder wann sich dabey ein Anstand findet, selbigen mittelst unterthänigsten Berichts zu Unserer weitern Entschließung anzeigen.“
Zur vollständigen Ausweisung der Juden aus Barby scheint es 1765 nicht gekommen zu sein. Allerdings steht die quantitative Erfassung der jüdischen Bewohner in Barby ab 1766 damit vermutlich in unmittelbarem Zusammenhang. Das Amt Barby war fortan zur Erhebung dieser Daten verpflichtet, damit die Entwicklung der jüdischen Bevölkerungszahlen auf kursächsischem Territorium zentral beobachtet und kontrolliert werden konnte.
Überlieferungsgeschichte
Das kursächsische Amt Barby, in dem diese Akte mit den statistischen Erhebungen über die jüdische Bevölkerung ab 1786 anlegt wurde, ging aus der Herrschaft Barby hervor. Deren Besitzer waren im Jahre 1497 zu reichsunmittelbaren Grafen erhoben worden, wodurch die Grafschaft Barby entstand. Auf deren Gebiet waren spätestens seit dem 13. Jahrhundert mehrere jüdische Familien ansässig (vgl. auch das Privileg König Adolfs von Nassau, 1295).
Nachdem Barby im Jahre 1815 preußisch geworden und der Verwaltungssitz nach Calbe (Saale) verlegt worden war, wurden die Akten des aufgelösten sächsischen Amtes Barby durch das 1823 gebildete preußische Provinzialarchiv in Magdeburg, dem Vorgänger des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, übernommen, wo sie heute unter anderem den Bestand D 4 Amt Barby bilden.
Zum Bestand D 4 Amt Barby gelangen Sie hier.
Einen direkten Einstieg in die Recherche zu jüdischem Leben bietet der Gliederungspunkt: 14. Juden (1615-1807).
Die besprochene Tabelle können Sie hier herunterladen:
D 4, Nr. 936, Bl. 4 VS
D 4, Nr. 936, Bl. 4 RS