Zeitzeugengespräch zum Europapokalspiel zwischen dem 1. FC Magdeburg und dem FC Bayern München am 6. November 1974
Tausendfach richteten sich die Blicke am 6. November 1974 von den Magdeburger Stadionrängen auf das Spielgeschehen. Während die Fans gebannt das Europapokalspiel zwischen dem 1. FC Magdeburg und dem FC Bayern München verfolgten, standen auch sie selbst ungewollt unter Beobachtung. Dass die Sicherheitsbehörden der DDR Fans ebenso wie Spieler überwachten, bezeugen Archivalien des Landesarchivs Sachsen-Anhalt und des Bundesarchivs. Doch wie erlebten die Zeitzeugen selbst diese Überwachung? Wo zeigen sich Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede zum Geschichtsbild, das sich in den Archiven überlieferte? Diese Fragen standen nun im Mittelpunkt eines Zeitzeugengesprächs am Standort Magdeburg des Landesarchivs Sachsen-Anhalt.
Unter der Moderation des Sporthistorikers Dr. René Wiese diskutierten auf dem Podium nicht nur die ehemaligen FCM-Spieler Wolfgang Seguin und Ulrich Schulze sowie der ehemalige Bayernspieler Rainer Zobel. Aus Fanperspektive ergänzten zudem Dr. Jörg Biastoch, Präsident des 1. FC Magdeburg, und Jürgen Wissel die Gesprächsrunde.
Im Doppelpass spielte René Wiese zwischen den Ergebnissen seiner Archivforschungen und den Erinnerungen der Zeitzeugen. Ausgehend von einer mit zahlreichen Fotos versehenen Präsentation verstand er es, das legendäre Fußballspiel in einen größeren Kontext einzubetten und aus verschiedenen Perspektiven zu vertiefen.
Dass dieses Thema auch heute, fünf Jahrzehnte nach dem sportlichen Großereignis auf reges Interesse trifft, zeigte ein Blick in das Publikum: Rund 100 Gäste waren an den ostelbischen Archivstandort unweit der Magdeburger Fußballarena gekommen.
Warum sich die Sicherheitsbehörden der DDR überhaupt für die Überwachung des Magdeburger Fußballspiels interessierten, begründete René Wiese mit dem unerwünschten Kontakt zwischen Ost- und Westdeutschen. Bereits Tage zuvor hätten sich Kriminalpolizisten unter das Volk begeben, um öffentliche Gespräche mitzuhören.
Das Stadiongelände war zu diesem Zeitpunkt weiträumig abgesperrt, wie sich Jörg Biastoch erinnerte: „In meiner Cracauer Schule war die Bereitschaftspolizei aus Halle untergebracht und es gab unterrichtsfrei. Überall standen Wasserwerfer und meine Eltern haben mir aus Sorge verboten, beim Spiel dabei zu sein.“
Ohnehin hätten sich nur wenige Karten im freien Verkauf befunden, wie mehrere Fans aus dem Publikum bestätigten. Zwar gab es einen Verteilschlüssel für Betriebe, ergänzte René Wiese, doch griff die Staatsmacht bei der Vergabe vor allem auf ihren Kaderstamm zurück.
Als die Spieler des FC Bayern München in Magdeburg eintrafen, sollen sie laut Archivberichten sehr unfreundlich begrüßt worden sein. „Daran kann ich mich aber nicht erinnern, wir sind aus dem Mannschaftsbus ja schnell in das Hotel gegangen“, so Rainer Zobel. Zeitzeuge Jürgen Wissel erinnerte die Fanperspektive: „Es war viel Volkspolizei vor Ort und auch jemand mit Megafon, der gegen den FC Bayern gewettert hat.“ Trotzdem sei das Interesse an Autogrammen der Münchener Spieler hoch gewesen, „wir haben die angehimmelt.“
Udo Lattek und seinen Bayernspielern sei die Überwachung bewusst gewesen: „Anders als sonst hatten wir die Mannschaftsbesprechung deshalb auch nicht im Hotel, sondern bei einem Spaziergang im Park“, berichtete Rainer Zobel. Doch auch die Magdeburger Fußballer standen im Fokus der Staatsmacht: „Davon haben wir aber überhaupt nichts mitbekommen“, so Wolfgang Seguin. Zwar hätte Trainerlegende Heinz Krügel Mitschnitte aus der gegnerischen Kabine hören können, doch lehnte er dies kategorisch ab, unterstrich Ulrich Schulze.
Nach dem Spiel kam es im Entspannungsbecken zum direkten Austausch zwischen beiden Mannschaften: „Lattek und Krügel haben sich blendend verstanden“, erinnerte sich Wolfgang Seguin. „Und Franz Beckenbauer erzählte, dass er absolut nichts über uns wüsste“, verdeutlichte Ulrich Schulze die Kenntnis über den DDR-Fußball beim FC Bayern München.
Noch bis Ende November ist die begleitende Ausstellung „Kalter Krieg in kurzen Hosen: die Aktion „Vorstoß II“, der 1. FC Magdeburg und der FC Bayern München“ auf dem Parkplatz des Landesarchivs Sachsen-Anhalt zu sehen. Ab dem 12. November präsentiert zudem das Allee-Center Magdeburg die Ausstellungstafeln.
Dr. Detlev Heiden, Leiter des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, lobte die Kooperation mit dem Team um Dr. René Wiese: „Ergebnisse wie diese zeigen einmal mehr, warum Archive bedeutend für eine Gesellschaft sind. Jede Person hat bei uns kostenfrei die Möglichkeit, in Archivalien aus mehr als 1.100 Jahren Landesgeschichte zu forschen.“