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Gleichschaltung der Zuckerindustrie: Ausschluss jüdischer Industrieller aus Landwirtschaftsverbänden

Quellenkritische Einordnung

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde mit dem ersten Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 die Entstaatlichung der deutschen Länder eingeleitet. Vordergründiges Ziel war es, oppositionelle Parteien und Verbände auszuschalten. Für Institutionen bedeutete es vornehmlich, das sogenannte Führerprinzip umzusetzen; antisemitische Ressentiments wurden zum Grundsatz, Führungspositionen mit NSDAP-Mitgliedern oder -Anhängern besetzt. Dies galt auch für wichtige Gremien der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, die mit dem NS-Regime nahestehenden Schlüsselfiguren besetzt wurden. Am 26. August 1933 fand eine Neubesetzung der Ausschüsse der deutschen Zuckerindustrie statt, bei denen der Agrarunternehmer Carl Wentzel und der jüdische Direktor der Zuckervertriebsgesellschaft Halle AG, Paul Weinzweig, wiedergewählt wurden. Der Kreisbauernführer des Kreises Querfurt, Dr. Raecke, wollte dieses Ergebnis so nicht akzeptieren und versandte einen Fragebogen mit insgesamt 12 Fragen an die Leiter der Zuckerfabriken im Kreis Querfurt, später an alle Zuckerfabriken der preußischen Provinz Sachsen, die die Befähigung und Akzeptanz von Carl Wentzel und insbesondere Paul Weinzweig prüfen sollten, mit dem Ziel, die Wahlen zu annullieren.

Inhaltliche Einordnung

Vor allem Paul Weinzweig sollte wegen antisemitischer Ressentiments das Amt verwehrt werden, wie die Frage 11 auf dem Fragebogen ganz offen suggeriert: „Halten Sie es für angängig und richtig, dass im heutigen nationalsozialistischem Staate an der Führung eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Wirtschaftszweige ein Jude (Herr Weinzweig) verantwortlich mitbetraut ist?“
Aus dem weiteren Schriftverkehr ist zu entnehmen, dass zumindest einige Zuckerfabrikleiter sich über die Frage nach der Gleichschaltung empörten („12.) Sind, bezw. halten Sie die neugewählten Ausschüsse der Zuckerindustrie für gleichgeschaltet?“) und die Beantwortung der Frage verweigerten. Über Paul Weinzweig wurde Positives berichtet („Überhaupt erfreut sich Herr Weinzweig wegen seiner Qualitäten und wegen seiner persönlichen Charaktereigenschaften allgemeinen Ansehens.“). Auf sein Jüdischsein ging niemand direkt ein.
Aus einem Schreiben von Robert Aumüller, dem Besitzer der Zuckerfabrik Delitzsch und bedeutendem Mitglied in zahlreichen Zuckerverbänden, geht hervor, dass Paul Weinzweig aus den Ausschüssen der Wirtschaftlichen Vereinigung der deutschen Zuckerindustrie ausgeschieden war; Carl Wentzel hingegen behielt diese Positionen. Die genauen Umstände des Ausscheiden Weinzweigs und ihr konkreter Zusammenhang mit dem Vorgehen Raeckes lassen sich anhand der Aktenlage jedoch nicht belegen.
Paul Weinzweig ist am 12. September 1873 in Magdeburg geboren und am 18. November 1940 in Halle gestorben. Er arbeitete zunächst als Buchhalter, später als Prokurist und Vorstandsmitglied in der Zuckerraffinerie Rositz. Im Jahr 1925 erfolgte der Umzug nach Halle, wo er Direktor der Zuckervertriebsgesellschaft Halle AG wurde.
Carl Wentzel (1876–1944) war Agrarunternehmer in Teutschenthal. Er vertrat auf internationalen Messen und Konferenzen die deutsche Zuckerindustrie und gehörte zu den größten Arbeitgebern in der Region. Ihm wurde vorgeworfen, am Attentat an Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein, weswegen er zum Tode verurteilt wurde.

Überlieferungsgeschichte

Der Schriftwechsel zur Gleichschaltung in der Zuckerindustrie, insbesondere zur Besetzung von Gremien durch Wentzel und Weinzweig, ist im Bestand I 599 Vereinigung Mitteldeutscher Rohzuckerfabriken (VEMIRO) überliefert. Aus dem Verwaltungsarchiv des VEB Zuckerkombinat Halle wurde 1981 das Schriftgut der VEMIRO an das Staatsarchiv Magdeburg übergeben. Der Bestand kam 1994 in das neu gegründete Landesarchiv Merseburg (heute Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg).