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Verordnung zur völligen Gleichstellung der Israeliten mit den Christen in allen bürgerlichen Rechten und Pflichten, 1848

Quellenkritische Einordnung

Vor dem Hintergrund der im späten 18. Jahrhundert wirkenden Aufklärung entwickelte sich in Europa eine kontroverse Diskussion über eine schrittweise Verbesserung der gesellschaftlichen Situation der bis dahin rechtlich, religiös und sozial diskriminierten jüdischen Bevölkerung. Davon beeinflusst und infolge der Französischen Revolution erließen mehrere deutsche Territorialstaaten Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts Patente und Edikte, die Juden erstmals staatsbürgerliche Rechte gewährten, darunter 1810 das Herzogtum Anhalt-Bernburg und 1812 das Königreich Preußen. Die Frage einer „Verbesserung des moralischen und bürgerlichen Zustands der Juden“ wurde auch im Herzogtum Anhalt-Dessau ausführlich diskutiert, jedoch ohne in eine gesetzliche Regelung zu münden.
Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft führten die Verhandlungen des Wiener Kongress 1815 zum Deutschen Bund zu keiner Einigung über den zukünftigen Rechtsstatus der Juden, sondern zu einer Einschränkung, teilweise Zurücknahme der den Juden in einzelnen Staaten bereits zugestandenen Rechte.
Im Vorfeld der Revolution von 1848 dauerte die Auseinandersetzung um die bürgerliche und politische Gleichstellung der Juden an, für die ab 1817 der Begriff „Juden-Emanzipation“ gebräuchlich wurde. Ermutigt von dieser Entwicklung baten die Ältesten der Israelitischen Gemeinde in Dessau „im Namen der gesamten Anhalt-Dessauischen Judenschaft“ im Januar 1843 erneut um die Erteilung von Bürgerrechten und lösten damit eine langwierige gutachtliche Prüfung der Landesregierung ohne ein Ergebnis aus.
Unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse im März 1848 sah sich Herzog Leopold Friedrich von Anhalt-Dessau gezwungen, auf Forderungen der Bevölkerung einzugehen. Auf einer Volksversammlung am 14. März 1848 sicherte er in einer Bekanntmachung unter anderem die „unbedingte Emanzipation“ der Juden zu. Das neu errichtete Herzoglich Anhaltische Staatsministerium erließ daraufhin am 10. April 1848 die hier präsentierte „Verordnung, die nähere Ausführung der völligen Gleichstellung der Israeliten mit den Christen in allen bürgerlichen Rechten und Pflichten betreffend“, durch die das in Anhalt-Dessau noch bestehende Schutzjudenverhältnis endlich beseitigt wurde.

Inhaltliche Einordnung

In der Verordnung erklärten die Staatsminister Dr. August Habicht und August Köppe die im § 12 der „Städteordnung für das Herzogtum Anhalt-Dessau“ vom 10. Dezember 1832 enthaltene Beschränkung, nach welcher Israeliten das städtische Bürgerrecht nicht erwerben konnten, für aufgehoben und bestimmten, dass die Israeliten mit den Christen, „was die Befähigung und Verpflichtung zur Erlangung des Bürgerrechts betrifft“, überall gleichgestellt sein sollten. Die städtischen Behörden wurden zur Erteilung des Bürgerrechts an Israeliten auf deren Antrag nach den Bestimmungen der Städteordnung aufgefordert. Über den Inhalt der Verordnung informierte die Landesregierung unverzüglich das Stadt- und Landgericht Dessau, die Stadträte und Justizämter. Am 22. April 1848 wurde es im „Herzoglich Anhalt-Dessauischen Wochenblatt“ bekannt gemacht und später in der „Gesetzsammlung für das Herzogtum Anhalt-Dessau“ veröffentlicht.

Überlieferungsgeschichte

Die Ausfertigung der vorgestellten Verordnung des Staatsministeriums bildet mit dem damit in Zusammenhang stehenden Schriftwechsel den Abschluss von zwei bei der Landesregierung Dessau geführten Aktenbänden mit dem Titel „Die Gleichstellung der hierländischen Juden in bürgerlichen Verhältnissen mit den christlichen Untertanen […] betreffend“. Als Oberbehörde war die Landesregierung Dessau bis zur Reformierung des anhaltischen Verwaltungsapparates im Ergebnis der Revolution von 1848 unter anderem mit der Aufsicht über die jüdischen Angelegenheiten betraut. Die beiden genannten Aktenbände stammen aus dem Zeitraum 1810 bis 1848 und beinhalten vor allem Gesuche und Stellungnahmen der Ältesten sowie anderer Vertreter der Jüdischen Gemeinde in Dessau, herzogliche Verfügungen und Gutachten der Landesbehörden. Als Teil der archivalischen Quellenüberlieferung des ehemaligen Fürsten- beziehungsweise Herzogtums Anhalt-Dessau sind diese Akten heute der Gliederungsgruppe „C 15 Die Judenschaft“ des Pertinenzbestandes „Z 44 Abteilung Dessau“ zugeordnet. Sie können online recherchiert und digital eingesehen werden.

Der Entwurf der Verordnung ist in einer Akte über die Emanzipation der Israeliten im Bestand „Z 104 Staatsministerium Dessau 1“ erhalten geblieben. 

 

Die „Verordnung, die nähere Ausführung der völligen Gleichstellung der Israeliten mit den Christen in allen bürgerlichen Rechten und Pflichten betreffend“ finden Sie hier:

LASA, Z 44, C 15 Nr. 15 Bd. II, Bl. 114 VS

LASA, Z 44, C 15 Nr. 15 Bd. II, Bl. 114 RS


Die Verordnung in der „Gesetzsammlung für das Herzogtum Anhalt-Dessau“ finden Sie hier:

LASA, Z 44, C 15 Nr. 15 Bd. II, Bl. 122 VS