Verzeichnis von Orten, aus denen Juden „evakuiert“ wurden; Liste nach Theresienstadt „um-gesiedelter“ Juden, 1942
Quellenkritische Einordnung
Eine herausgehobene Rolle bei der Enteignung und Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger hatten neben den Dienststellen der Geheimen Staatspolizei die Finanzbehörden in den einzelnen Ländern des Dritten Reichs inne. An deren Spitze stand jeweils ein Oberfinanzpräsident, der im Falle der Provinz Sachsen seinen Sitz in Magdeburg hatte und ebenso für den Freistaat Anhalt und - ab 1943 - auch für das Land Thüringen zuständig war. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Verwaltung und Verwertung des Reichsvermögens in diesem Gebiet und damit des dort zugunsten des Deutschen Reichs beschlagnahmten jüdischen Vermögens. Hierzu überlieferte Akten dokumentieren vor allem die einschlägige Gesetzgebung, die das Handeln des Verwaltungsapparates legalisierte und kaum Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Enteignungen aufkommen ließ. Einen Eindruck von den auf diesem Gebiet erlassenen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen bietet zum Beispiel die unter der Signatur G 1, Nr. 390 verzeichnete Akte des Oberfinanzpräsidenten. Durch einige ebenfalls in der Akte überlieferte Namenslisten deportierter Juden und Verzeichnisse von Orten, aus denen Juden „evakuiert“ wurden, wird sie zu einem weiteren bedrückenden Zeugnis für den Raub jüdischen Eigentums und die Vernichtung der Juden.
Inhaltliche Einordnung
Mit dem Erlass des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl I S. 480) und des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens ebenfalls vom 14. Juli 1933 (RGBl I S. 479 f.) waren bereits kurz nach der Machtübernahme grundlegende Voraussetzungen für die Legalisierung von Enteignungen im NS-Staat geschaffen worden. Personen, denen vor 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit übertragen worden war, konnte diese wieder aberkannt werden. Anschließend wurden sie enteignet, andere wurden zu Volksfeinden erklärt und ebenfalls enteignet. Beide Gesetze wurden auch auf jüdische Bürgerinnen und Bürger angewandt. Eine gezielt zu deren Enteignung eingesetzte Regelung trat mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl I S. 722-724) in Kraft, denn in ihr war verfügt worden, dass alle Jüdinnen und Juden, die „ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland“ haben beziehungsweise „später“ zum Beispiel aufgrund von Abschiebungen und Deportationen nehmen mussten, nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit, sondern automatisch auch ihren Besitz an das Reich verlieren. Somit bot die Verordnung auch die Möglichkeit, insbesondere jüdische Bürgerinnen und Bürger, die in das Generalgouvernement „abgeschoben“ wurden, das als Ausland galt, gesetzlich legitimiert zu enteignen, da sie ja aus dem Deutschen Reich „auswanderten“ und ihren „gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland“ nahmen. So erging es auch den 465 Juden aus verschiedenen Orten der Provinz Sachsen und Anhalts, die durch die Geheime Staatspolizei Magdeburg in das Generalgouvernement, das heißt in das KZ Auschwitz oder in eines der dort eingerichteten Ghettos abgeschoben werden sollten. In Vorbereitung dieser Aktion instruierte der Oberfinanzpräsident Magdeburg die mit der Verwertung des Vermögens der Jüdinnen und Juden beauftragten Finanzämter am 23. März 1942. Hierin teilte er unter anderem mit, dass die Betroffenen zuvor genaue Vermögenserklärungen abgeben mussten, in die neben dem Kapitalvermögen auch alle „zum Hausrat gehörenden Gebrauchsgegenstände“ aufzunehmen waren. Dadurch erhielten die Finanzämter genaue Kenntnis über den zu verwertenden Besitz. Abschließend wies er vorbeugend darauf hin, dass sich die Zahl der jeweils aus einem Ort abzuschiebenden Personen „nach Mitteilung der Geheimen Staatspolizei noch unwesentlich“ ändern könne. Dies geschah vermutlich aufgrund von Erfahrungen aus früheren Aktionen, bei denen die Gestapo nicht aller Betroffenen habhaft werden konnte, da einigen möglicherweise die Flucht gelungen war oder sie den Freitod einem mehr als ungewissen Schicksal vorgezogen hatten.
Ab Juli 1942 wurden vor allem ältere jüdische Bürgerinnen und Bürger nach Theresienstadt „umgesiedelt“, wie die ebenfalls in der Akte überlieferte Liste Hallenser Jüdinnen und Juden belegt, die mit einem Transport am 19. September 1942 dorthin deportiert worden waren. Sie wurden zumeist mittels eines sogenannten Heimeinkaufsvertrags um ihr Eigentum gebracht, den sie zuvor abzuschließen hatten, um im „Altersghetto“ Theresienstadt „versorgt“ werden zu können. Von ihrer Habe durften sie dorthin lediglich 100 Reichsmark und 50 kg Gepäck je Person mitnehmen. Die in der Liste für fast alle Personen angegebene Wohnanschrift, „Halle, Boelckestraße 24“, steht für ein sogenanntes Judenhaus. Zu derartigen Häusern waren ab September 1939 in den Städten des Dritten Reichs Wohnhäuser aus jüdischem Besitz erklärt und dort jüdische Bürger zur zwangsweisen und sehr beengten Unterbringung eingewiesen worden, um diese besser überwachen und über die zuvor von ihnen genutzten Wohnungen verfügen zu können.
Überlieferungsgeschichte
Die wenigen im Landesarchiv überlieferten Verzeichnisse über Deportationen jüdischer Bürger finden sich im Zusammenhang mit Dokumenten zur Einziehung des Vermögens. Weitere Forschungen zum Schicksal der in den Listen genannten Personen scheitern oft an der schlechten Überlieferungslage. Zu einigen der im Verzeichnis genannten Hallenser Jüdinnen und Juden geben jedoch Akten der Devisenstelle Auskunft, allerdings enden die darin enthaltenen Informationen zumeist mit der Vermögenseinziehungsverfügung und der Information über die „Wohnsitzverlegung“ nach Theresienstadt. Gewissheit über die Deportation eines Menschen dorthin kann zumeist das „Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942–1945“ bringen. Weiterhelfen können aber möglicherweise auch im Bundesarchiv verwahrte Unterlagen der Reichsbehörden, wie beispielsweise des Reichssicherheitshauptamtes, sowie Unterlagen des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg im Landesarchiv Berlin.