Enteignung und Deportation
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden antisemitische Ressentiments aufgegriffen und im Dienste eines ethnischen Nationalismus gezielt zur Rechtfertigung einer systematischen Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung herangezogen. Nach dem Willen der Nationalsozialisten wurde mit den Nürnberger Rassegesetzen des Jahres 1935 die prinzipielle Gleichheit der Staatsangehörigen aufgehoben. Fortan sollten die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte nicht mit der Staatsangehörigkeit einhergehen, sondern über eine willkürlich festgelegte Abstammung definiert werden. Es wurde zwischen „Reichsbürgern“ als Träger der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten und einfachen Staatsangehörigen unterschieden. Damit war die individuelle Entscheidungsfreiheit über die eigene Identität und Zugehörigkeit faktisch aufgehoben: Wer auf dem Staatsgebiet geboren war und/oder lebte, verfügte lediglich noch über die Staatsangehörigkeit, konnte aber die Staatsbürgerschaft niemals erwerben, wenn er jüdischer oder nichtdeutscher Abstammung war. Durch den willkürlichen Entzug der Staatsbürgerschaft verloren die Bürgerrechte insgesamt ihre Funktion von Schutzrechten gegenüber staatlichen Eingriffen. Das dahinterstehende Ziel der Nationalsozialisten war die faktische Entmündigung der gesamten Bevölkerung.
Die systematische Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung diente einerseits dazu, eine über ihre Abstammung definierte, rechtlose und zugleich willfährige „Schicksalsgemeinschaft“ unter der freien Verfügungsgewalt der Nationalsozialisten zu formen. Andererseits konnte die nunmehr auch formal rechtlose jüdische Bevölkerung scheinbar legal enteignet und in die Konzentrationslager deportiert werden.
Um Staat und Wirtschaft unter Kontrolle zu bringen und jedwede Opposition ausschalten zu können, strebten die Nationalsozialisten eine Gleichschaltung und sogenannte Arisierung an, die eine Besetzung der Führungspositionen mit NSDAP-Anhängern vorsah. Wie das Beispiel der Gleichschaltung der Zuckerindustrie und des Ausschlusses jüdischer Industrieller aus Landwirtschaftsverbänden aus dem Jahr 1933 zeigt, rief die Gleichschaltung zwar Kritik hervor, die Diskriminierung des Jüdischseins wurde jedoch nicht explizit kritisiert.
Zur Politik der Arisierung gehörte insbesondere die Enteignung von jüdischen Unternehmen, wie des Warenhauses Emil Joske in Weißenfels, das nach dem Tod des Eigentümers 1933 aufgrund des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens enteignet und „arisiert“ wurde.
Diese Maßnahmen zielten nicht nur auf die Ausgrenzung, sondern letztlich auf die Deportation und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung ab. Um diesen Tatbestand zu verschleiern und den Maßnahmen zur Abwicklung den Anschein der Legalität und Ordnungsmäßigkeit zu verleihen, wurde die Deportation in den behördlichen Unterlagen als „Wohnsitzverlegung“ bezeichnet. Die Betroffenen mussten dabei für die entstehenden Kosten mit ihrem Vermögen selbst aufkommen. Die „Wohnsitzverlegung“ des Menko Israel Hart (1863–1943) von Dessau nach Theresienstadt veranschaulicht dieses Vorgehen.
Einen Eindruck von der systematischen Durchführung der Deportationen vermittelt eine Liste der Orte, aus denen jüdische Einwohner evakuiert werden sollten.