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Ausreise

Die Unfähigkeit der SED, die Bürger an ihren Staat zu binden, zeigte sich vor und nach dem Mauerbau in einer ‚Abstimmung mit den Füßen‘. Flucht und Ausreise blieben in vier Jahrzehnten zentrale Destabilisierungsfaktoren von Staat und Gesellschaft, die eine herausragende Rolle beim inneren Legitimationsverlust und Niedergang der DDR spielten.
Auch „Privatreisen“ in den Westen, insbesondere in Familienangelegenheiten, erfolgten nur unter restriktiven Bedingungen, was die Unzufriedenheit steigerte – immerhin wurden 1988 bereits 1,4 Millionen Genehmigungen erteilt.

Die Zahl der Ausreiseanträge stieg in den 80er Jahren ständig an. Altersstruktur und berufliche Qualifikation derjenigen, welche die DDR dauerhaft verlassen wollten, wurden besorgt registriert.

Eine Rechtsgrundlage für Ausreiseanträge existierte zunächst nicht. Sie wurde erst Ende 1988 im Zuge der Wiener KSZE-Nachfolgekonferenz mit einer „Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland“ geschaffen, die nicht nur „Dienst-, Touristen und Privatreisen“, sondern auch „ständige Ausreisen“ regelte. Letztere konnten nach dieser Verordnung nicht nur zur Familienzusammenführung oder bei Rentnern, sondern „auch aus anderen humanitären Gründen genehmigt werden, wenn dadurch keine Beeinträchtigung gesellschaftlicher Interessen und der Rechte anderer Bürger hinsichtlich ihrer Lebensqualität, vor allem bei der Versorgung, Betreuung und Fürsorge, eintritt bzw. keine Nachteile für die Volkswirtschaft oder die öffentliche Ordnung zu erwarten sind.“

Die ersten Zwischenbilanzen zur Reiseverordnung vom 30. November 1988 lassen einen langsam außer Kontrolle geratenen Druck der unzufriedenen Bevölkerung spüren.


Aus der Perspektive von Staat und Partei kam es gegenüber Ausreisewilligen „zwingend darauf an,“  (...) daß wir die Personen hierbehalten wollen und müssen, nicht nur aus politischen, sondern auch aus ökonomischen (...) Gründen“:


Der „Kampf um die Rückgewinnung jeder einzelnen Person“ stieß auf keine Resonanz mehr. Insbesondere verabschiedeten sich auch die gut qualifizierten 25-40-Jährigen aus und von der DDR.


Schon in den Jahren vor 1989 finden sich in den Quellen Hinweise auf eine als immer bedrohlicher wahrgenommene Gefahr. Mit jeder Genehmigung erhöhte sich der Druck auf die staatlichen Organe, „was erfordert, mit Genehmigungen so sparsam wie möglich zu verfahren“.


Noch bemühten sich Staat und Partei, der verbreiteten Auffassung gegenzusteuern, „daß zähes beharrliches Festhalten bzw. Erneuerung des Antrages zum verfolgten Ziel führen wird“. Und immer vergeblicher gestaltete sich der Versuch, „jeden Bürger mit unseren Argumenten zu erreichen, auftretende Probleme frühzeitig zu erkennen und sie entsprechend den konkreten Möglichkeiten zu lösen“.