April 1989
Anfang April 1989 ordnete Erich Honecker informell die Aufhebung des Schießbefehls für die DDR-Grenztruppen an. Der Druck auf die Staats- und Parteiführung war so stark gewachsen, dass als neue Maxime galt: „Lieber einen Menschen abhauen lassen, als in der jetzigen politischen Situation die Schußwaffe anzuwenden.“
Das Gewicht der Opposition erhöhte sich in diesem Monat auch in Peking, wo Studenten bei Massendemonstrationen Meinungsfreiheit und unabhängige Interessenvertretungen forderten, und in anderen osteuropäischen Staaten.
So unterzeichneten Regierung und Opposition in Polen am 5. April eine Übereinkunft über politische und wirtschaftliche Reformen. Nach 17 Jahren wurde die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc Mitte des Monats wieder legalisiert.
Der ungarischen Parteiführung warf Honecker am 26. April vor, sie verfüge nicht mehr über den Willen „die politische Macht zu verteidigen“. In Ungarn, das in diesen Tagen mit dem Abbau des Grenzzauns zu Österreich begann, habe sich „der Prozess einer spürbaren Erosion sozialistischer Machtverhältnisse, Errungenschaften und Werte (...) beschleunigt und alle gesellschaftlichen Gebiete ergriffen“.
Im Bezirk Halle formulierte eine Lehrerin in ihrer Eingabe zur mangelnden Produktionsqualität eines Fahrradwerkes diesen Erosionsprozess folgendermaßen: „Sie glauben vielleicht nicht, wie oft man als Lehrer in den großen Klassen bei Diskussionen den Buckel hinhalten muß, wenn man die Kinder zu wirklichen Idealen erziehen will und sie ständig mit Gegenargumenten aufwarten, die man gar nicht mehr abweisen kann.“