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Orte jüdischen Lebens auf einem Plan der Stadt Dessau aus dem Jahr 1809

Quellenkritische Einordnung

Eine nicht nur vorübergehende, sondern ständige Ansiedlung von Juden in der Stadt Dessau ist ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belegbar. Nach dem Vorbild seines Schwagers, des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), gestattete Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693) im Jahr 1672 die dauerhafte Niederlassung von Juden in seiner Residenzstadt und später auch in seinem gesamten Fürstentum. Zugleich gewährte er ihnen seinen landesherrlichen Schutz.

In Dessau beschränkte sich die Wohnorte der rasch anwachsenden jüdischen Bevölkerung lange Zeit auf die südlich vor den Toren der Stadt gelegene und dem fürstlichen Amt unterstellte Vorstadt „auf dem Sande“, wo auch Nichtjuden lebten. Die Juden schlossen sich zu einer Gemeinde zusammen und erhielten schon frühzeitig Baugenehmigungen für elementare Einrichtungen eines funktionierenden Gemeindelebens, wie einer Synagoge, eines Begräbnisplatzes sowie eines Kranken- und Armenhauses.

Dennoch sind auf einem von Johann Heinrich Streiber 1746 gezeichneten Stadtgrundriss, der heute im Landesarchiv Sachsen-Anhalt verwahrt wird,

keine Orte jüdischen Lebens zu erkennen. Hinweise auf den Standort der Synagoge und den jüdischen Begräbnisplatz finden sich jedoch auf dem 1809 veröffentlichten „Plan der Stadt Dessau und der umliegenden Gegend“ von Gerhard Ulrich Anton Vieth. Auf allen späteren Stadtplänen des 19. Jahrhunderts wurde jetzt stets die Lage der wichtigsten religiösen Stätten der jüdischen Gemeinde, aber auch anderer Orte jüdischen Lebens dargestellt, die mittlerweile fester Bestandteil des Stadtbilds geworden waren. In der Legende eines 1894 herausgegebenen Stadtplans wurde die Synagoge der Rubrik „Kirchen“ zugeordnet, ihr also damit derselbe Stellenwert wie den christlichen Kirchen beigemessen.

Inhaltliche Einordnung

Auf dem hier gezeigten Ausschnitt des Vieth’schen Stadtplans von 1809 sind das Gebiet der „Sandvorstadt“ bzw. die Straßen, in denen zum damaligen Zeitpunkt nachweislich Juden wohnten, rot markiert. Vor allem die Franz- (1) und Hospitalstraße (später Askanische Straße) (18), die Judenschulstraße (bzw. -gasse) (14), die Stein- (8) und Fürstenstraße (17), aber auch die Kavalier- (2) und Leipziger Straße (9) waren von Juden bewohnt.

In der Judenschulstraße (bzw. -gasse) (14), damals noch Töpfergasse genannt, erwarben 1684 jüdische Gemeindemitglieder ein Grundstück (P), auf dessen hinterem Gelände in den Folgejahren eine „Schul“ (Synagoge) errichtet wurde. Fürst Johann Georg II. gestattete den Bau erst 1687, nachdem er bereits fertiggestellt war. Er gilt als der historisch älteste in der Region Anhalt. 1711 wurde er erweitert und nach einem Brand 1729 wiedererrichtet. 1858/59 wurde die Synagoge umgebaut und 1908 ein Nachfolgebau eingeweiht.

Für die jüdische Gemeinde stellte die Synagoge den Mittelpunkt ihres geistig-kulturellen Lebens dar. Sie diente nicht nur dem Gottesdienst, sondern war der Ort für Gemeindeversammlungen und zum Studium der Tora. Der jeweilige Rabbiner wohnte in einem Vordergebäude an der Straße. Das Nachbarhaus kaufte die Gemeinde für das 1785 gegründete jüdische Gymnasium, eine Talmud-Hochschule zur Vorbereitung auf das Lehrer- und Rabbineramt.

Nicht weit von der Synagoge entfernt befand sich in der Hospitalstraße (später Askanische Straße) (18) das Geburtshaus des bedeutenden Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786), einem der wichtigsten Wegbereiter der jüdischen Aufklärung (der Haskala).

Die auf Initiative eines „Vereins junger jüdischer Menschenfreunde“ 1799 gegründete und 1801 landesherrlich sanktionierte „Israelitische Haupt- und Frey-Schule“ (ab 1816 „Franzschule“) nutzte ein Gebäude (Q) in der Leipziger Straße (9) an der Ecke Rennstraße (20) und Backgasse (21). Sie vermittelte ihren Schülern neben jüdischen Religionskenntnissen eine umfassende moderne Allgemeinbildung.

In der Nähe des südlich gelegenen Leipziger Tors ist das Gelände des „Juden Begräbnisplatzes“ (r) erkennbar. Wie es rituelle Vorschriften verlangen, lag dieser damals außerhalb der Stadt auf einem von den Dessauer Juden 1674 erbetenen Areal. Offiziell wurde ihnen dort 1687 die Anlegung eines Begräbnisplatzes gestattet. Anfang des 18. Jahrhunderts richtete die jüdische Gemeinde in einem von ihr in der Nachbarschaft erworbenen Gebäude ein Armen- und Krankenhaus (Hekdesch) ein, das 1759 durch einen Neubau ersetzt wurde.

Der Israelitische Friedhof in Dessau gehört zu den ältesten erhaltenen in der Region Anhalt.

Überlieferungsgeschichte

Der Direktor der Dessauer Hauptschule und Professor für Mathematik Gerhard Ulrich Anton Vieth (1763-1836) fertigte einen der ersten Stadtpläne von Dessau an, die durch ein Druckverfahren vervielfältigt wurden. Der Kupferstich des Plans ist heute noch in diversen Exemplaren in Archiven, Bibliotheken und anderen Institutionen überliefert.

Das im Landesarchiv Sachsen-Anhalt vorliegende Exemplar wurde ursprünglich zu illustrierenden Zwecken einer Akte der Landesregierung Dessau über den Bau der Franz- und neuen Leipziger Straße in Dessau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beigelegt, später herausgelöst und der einschlägigen „Slg. 19 Karten Dessau“ zugeordnet. Der Vieth’sche Plan
und weitere Stadtkarten von Dessau können online recherchiert und im Lesesaal in Dessau eingesehen werden.

 

Den hier vorgestellten Stadtplan können Sie im Folgenden herunterladen:

LASA, Slg. 19, 11/D 462