Zechenbücher der Gruben „Kurt“ und „Hedwig“ bei Weißandt-Gölzau werden fortan im Landesarchiv verwahrt
Es ist, wie so oft: bei einem Umzug wird ein mit “Bergbau“ beschrifteter Karton aufgefunden. Was ist dort wohl drin? Zwei große, dicke Bände kommen zum Vorschein, die auf den ersten Blick ihr Alter offenbaren, die Seiten eng und feinsäuberlich beschrieben. Der Finder, Michael Göring, entscheidet sofort: Das gehört nicht in den Container! Der Kontakt zum Heimat- und Kulturverein Weissandt-Gölzau entsteht und man beschließt die Übergabe der Bände an das Landesarchiv Sachsen-Anhalt. Die vorgefundene Sütterlin-Handschrift ist heute nicht mehr ohne weiteres zu lesen, wie Wolfgang Finze vom Heimat- und Kulturverein Weißandt-Gölzau gemeinsam mit Stephanie Göring vom Mehrgenerationenhaus in Görzig bei der Übergabe der Bände am 3. Mai berichtet. Die Entschlüsselung der Handschrift hat ihn viele Stunden gekostet, ganz abgesehen von den zahlreich verwendeten bergbaulichen Fachbegriffen.
Es war eine gute Entscheidung von Michael Göring, denn es handelt sich bei dem Fund um zwei sogenannte Zechenbücher, welche akribisch alle Vorgänge um die früheren Kohlegruben „Kurt“ und „Hedwig“ bei Weißandt-Gölzau beschreiben, die den Bergbaubetrieb der Jahre 1906 bis 1934 dokumentieren.
Die Zechenbücher sind Zeugnisse eines Industriezweiges, dem Kohlebergbau, der seit Jahrzehnten eingestellt ist und der die heutige Region nicht mehr prägt, aber ein wichtiger Bestandteil der regionalen Wirtschaftsgeschichte ist. Die Grube „Hedwig“ entstand 1874/75 mit dem Abteufen (Herstellung von senkrechten – seigeren - Hohlräumen) eines Schachtes bei Reinsdorf. 1876 wurde in der Grube „Hedwig“ die erste Kohle gefördert. Zehn Jahre später wurde die Grube an die Gewerkschaft „Minna-Anna“ verkauft, Vorläufer des Schwelwerkes Gölzau, und ausgebaut: zwei Brikettpressen wurden errichtet und 1890 nahm eine Brikettfabrik den Betrieb auf. Im November 1927 wurde der Schacht „Kurt“ abgeteuft. Nunmehr im Besitz der AEG ließ die Betriebsgesellschaft der Braunkohleveredelung und Schwelwerke Minna-Anna AG 1927 durch den Berliner Industriearchitekten Werner Issel die neue Schachtanlage „Kurt“ sowie ein modernes Schwelwerk zur Teererzeugung und eine Fabrik zur Weiterverarbeitung der anfallenden Schwelerzeugnisse errichten. Ab Oktober 1928 lief der Förderbetrieb in der Grube „Kurt“ an. Alle bisherigen Schächte in der Nähe des Bahnhofes Weißandt-Gölzau, wie auch die Grube „Hedwig“, wurden anschließend schrittweise geschlossen. In den dreißiger Jahren standen mehr als 800 Menschen im Kohlebergbau der Region in Lohn und Brot. Beamten- und Arbeiterwohnhäuser entstanden und Teer und Koks wurden als Massenprodukt hergestellt. Bis 1963 der Ministerrat der DDR die Stilllegung des mittlerweile als VEB Kombinat Gölzau firmierenden Betriebes anordnete. Die Produktion war zu unwirtschaftlich und nicht mehr zeitgemäß. Am letzten Tag des Jahres 1967 wurde die Grube „Kurt“ mit einer Betondecke geschlossen. Die Gebäude fielen in den 1990er und 2000er Jahren dem Abriss zum Opfer.
Im Landesarchiv befindet sich die schriftliche Überlieferung der Schwelwerke Gölzau, die von 1874 bis 1988 reicht, 36 laufende Meter Akten umfasst und mehr als 3500 technische Zeichnungen und Pläne, jedoch fehlen darin die Zechenbücher vor 1927. Die aufgefundenen Zechenbücher ergänzen die schriftlichen Dokumente in der Abteilung Dessau des Landesarchivs in hervorragender Weise und warten auf künftige Forscherinnen und Forscher dieser bislang nur punktuell beachteten Industriegeschichte des Kohlebergbaus in der Region.
Die schriftliche Überlieferung zum Schwelwerk Gölzau ist in der Online-Recherche des Landesarchivs Sachsen-Anhalt recherchierbar.