Landesherrlicher Schutz für einen ehrlichen Juden aus Halberstadt, 1761
Quellenkritische Einordnung
Bevor sich das mit der Aufklärung propagierte Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz durchsetzte, sahen sich Untertanen, deren Religionszugehörigkeit von der des Landesherren abwich oftmals einer individuellen und diskriminierenden Entscheidungspraxis gegenüber. So benötigte die jüdische Bevölkerung für die Sicherheit ihrer Person, des Eigentums und der freien Religionsausübung so genannte Schutzbriefe ihres Landesherrn. Diese liefern wichtige Aufschlüsse über die Situation der jüdischen Bevölkerung jener Zeit und die landesherrliche Steuerung des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Mitte des 18. Jahrhunderts existierten im Fürstentum Anhalt-Dessau neun jüdische Gemeinden. Eine der kleinsten bestand im Amt Großalsleben, einer anhalt-dessauischen Exklave, die vom Fürstentum Halberstadt und Herzogtum Magdeburg eingeschlossen war und zu der außer Großalsleben nur noch die Orte Kleinalsleben und Alikendorf gehörten. Ein von Leopold I. von Anhalt-Dessau im Mai 1712 erteiltes „Juden-Privilegium“ leitete hier die dauerhafte Niederlassung von Juden ein. Seit Ausgang des Mittelalters standen Juden unter dem alleinigen Schutz des herrschenden Landesherrn, der ihnen die Sicherheit der Person, des Eigentums und der Religionsausübung garantieren, aber auch wieder entziehen konnte. Leopold gestattete sechs jüdischen Familien das Wohnrecht im Amt, die Ausübung von Handelsgeschäften, die Anlage eines Friedhofs und die Errichtung einer Synagoge. Den Familienoberhäuptern wurden gegen Ableistung eines Eides „Schutzbriefe“ ausgestellt, wofür sie „Schutzgelder“ und weitere Abgaben zu entrichten hatten. Im Todesfall konnten die Privilegien der Schutzjuden auf Antrag auf ihre ältesten Söhne oder auch Witwen übertragen werden.
Inhaltliche Einordnung
Als Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau 1758 seine Regierung antrat, lebten im Amt Großalsleben 20 Schutzjuden, deren Anzahl in den Folgejahren noch weiter ansteigen sollte.
Ende Dezember 1760 erreichte den Fürsten ein „Schutzgesuch“ des Juden Nathan Abraham Block aus Halberstadt. Der Bittsteller beabsichtigte, die Schwester eines Schutzjuden aus Kleinalsleben zu heiraten und sich „daselbst zu etabliren“. Ein dem Gesuch beigefügtes Attestat des Rats der Stadt Halberstadt bezeugte seinen nach Aussagen der Vorsteher der dortigen Judenschaft redlichen Lebenswandel. Erst nachdem auch der Amtmann von Großalsleben bestätigte, dass der „Supplicant“ ein ehrlicher Jude sei, entschied sich der Fürst dafür, dem Gesuch zu entsprechen. Im April 1761 erhielt Nathan Abraham Block den gewünschten Schutzbrief ausgehändigt.
Überlieferungsgeschichte
Der bewusste Schutzbrief ist nur einer von zahlreichen anderen, die in jüdische Angelegenheiten betreffenden Akten der Anhalt-Dessauer Landesregierung und Justizämter erhalten geblieben sind. Diese im Pertinenzbestand „Z 44 Abteilung Dessau“ der Gliederungsgruppe „C 15 Die Judenschaft“ zugeordneten Archivalien sind online recherchierbar und können digital eingesehen werden.
Den besprochenen Schutzbrief des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau finden Sie hier.