Bittschrift der Seidenkrämerinnung und der Bürgerschaft der Stadt Magdeburg gegen die Niederlassung von Juden und deren Handelstätigkeit vor Ort, 6. Dezember 1719
Inhaltliche Einordnung
Am 6. Dezember 1719 übergaben die Seidenkrämerinnung und die Bürgerschaft der Stadt Magdeburg ihre Beschwerden an den Landesherrn Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg – in Form einer Bittschrift bezüglich mehrerer jüdischer Familien in Magdeburg.
So kritisierten sie die Niederlassung der beiden Juden Moses und Levin Bloch, Söhne des Halberstädter Schutzjuden David Samuel Bloch. Diese hatten 1703 durch Friedrich III. (I.) von Brandenburg das Recht verliehen bekommen, sich in der Sudenburg unmittelbar vor der Stadt Magdeburg anzusiedeln. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie sich dort durch den Handel mit Seide, Gold, Silber und anderen Waren. Gleiches galt für den seit 1713 in der Magdeburger Neustadt ansässigen Juden Levin Bauer und den Juden Elias Ruben Gumpert, seit 1719 in der Stadt Magdeburg wohnhaft, welche vor Ort ebenso Handelsgeschäfte führten.
Problematisch waren daran aus der Sicht der Innungen und der Bürgerschaft zwei Dinge: Zum einen hatte bis 1705 unter Androhung von hohen Strafen ein Ansiedlungs- und Handelsverbot für Juden im Herzogtum Magdeburg gegolten. Auf einer weiteren Gültigkeit beharrten sowohl die Stadt als auch die Kaufmannschaften.
Zum anderen entsprachen die Handelsgüter der jüdischen Familien denen der Magdeburger Innungen, für die sie ausdrückliche königliche Privilegien erhalten hatten. Darin sahen sie einen großen Nachteil für ihre Handelsunternehmen und Einkünfte.
Sie forderten deshalb, die Privilegien der Brüder Bloch und der Familie Bauer auf die Sudenburg bzw. die Neustadt zu beschränken. Gleichzeitig sollte es ihnen unter Androhung einer hohen Geldstrafe verboten sein, in der Stadt Magdeburg die gleichen Handelswaren wie die Magdeburger Innungen zu verkaufen. Im Falle des Juden Gumperts forderten sie gar die Rückgabe des Privilegs. Zur Untermauerung ihrer Argumentation bedienten sich die Bittsteller negativer Stereotypen, indem sie der jüdischen Bevölkerung u.a. unlautere Methoden wie Steuerhinterziehung vorwarfen. In Zeiten, in denen sich das mit der Aufklärung eingeforderte und heutzutage selbstverständliche Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz noch nicht durchgesetzt hatte, erschien die gezielte Diskriminierung wirtschaftlicher Konkurrenz aufgrund ihres Jüdischseins eine erfolgversprechende Strategie.
Quellenkritische Einordnung
In Bittschriften treten die frühneuzeitlichen Untertanen an die Landesherrschaft heran, um eine Verbesserung ihrer Situation zu erwirken. Während heutzutage das Petitionsrecht über das Grundgesetz (§ 17) geregelt ist und den Bürgerinnen und Bürgern den Rechtsanspruch zusichert, dass Eingaben und Beschwerden bearbeitet und beschieden werden, hatten frühneuzeitliche Untertanen keinen Anspruch auf eine Auseinandersetzung mit ihren Anliegen. Dementsprechend vermitteln Bittschriften und Petitionen nicht nur einen Einblick in die Situation einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern auch in ihr Verhältnis zur Landesherrschaft sowie ihre Erwartungshaltung an die Obrigkeit und die damit verbundenen Argumentationsstrategien.
Die vorliegende Bittschrift lässt mehrere Konfliktlinien aus dem beginnenden 18. Jahrhundert deutlich hervortreten: Auf lokaler Ebene wird erkennbar, dass vor dem Hintergrund des fast 200 Jahre andauernden jüdischen Niederlassungsverbots in der Stadt Magdeburg die Sondererlaubnis des Landesherrn zur Ansiedlung mehrerer jüdischer Familien zu großen Konkurrenzängsten und Protesten führte. Konkret wollte die Stadt Magdeburg als überregionales Handelszentrum, insbesondere für Gewerbeprodukte und Materialwaren, die eigenen Handelsprivilegien gegen auswärtige Konkurrenz absichern. Die Auseinandersetzung lag auch in einer unzureichenden Definition dessen begründet, was unter den „gewöhnlichen und denen Juden zuläßigen“ Handelsgütern zu verstehen war.
Verschärft wurde das Konfliktpotenzial noch dadurch, dass im benachbarten Fürstentum Halberstadt durch das Aufnahme- und Niederlassungsedikt von 1671 sowohl Handel als auch Niederlassungen der Juden erlaubt waren. Zunehmend tangierte dieser Umstand auch das Herzogtum Magdeburg, insbesondere in seinen wirtschaftlichen Belangen. Gleichzeitig änderte sich das politische Klima ab 1713 mit dem Regentenwechsel von Friedrich III. (I.) zu dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm I. erheblich: An die Stelle einer relativ liberalen und toleranten Politik trat ein deutlich repressiverer Umgang mit den Juden, was sich unter anderem in vermehrten Ansiedlungs- und Handelsausübungsverboten zeigte.
Das Verhalten der Magdeburger Innungen kann damit auch als Spiegel der widersprüchlichen Judenpolitik Brandenburg-Preußens zu Anfang des 18. Jahrhunderts gesehen werden, die von ambivalenten Verboten, Privilegien sowie divergierenden Interessen geprägt war.
Überlieferungsgeschichte
Die Unterlagen waren ursprünglich im Besitz des in Braunschweig geborenen Kaufmanns und Händlers Valentin Haeseler (1657-1728). Dieser unterhielt ab 1683 ein Handelskontor in Magdeburg, gehörte zur Bürgerschaft und war Examinator (Rechnungsprüfer) der Stadtrechnungen, Mitglied der Magdeburger Kaufmannschaft und Senior des Kirchenkollegiums zum Heiligen Geist. Als Ehemann der Maria Köpken arbeitete er jahrelang im Handelskontor seines einflussreichen Schwiegervaters Arndt Köpken. 1732 kaufte sein Sohn Gottfried Haeseler das Rittergut Klosterhäseler, ein ehemaliges säkularisiertes Kloster. Dabei fand der Nachlass seines Vaters Valentin Haeseler Eingang in das vor Ort angelegte Familienarchiv. Die 1733 geadelte Familie von Haeseler besaß das Gut bis zur Enteignung im Zuge der Bodenreform 1945. Anschließend gelangte das Gutsarchiv Klosterhäseler in das heutige Landesarchiv Sachsen-Anhalt.
Die Bittschrift können Sie hier herunterladen:
LASA, H 124, Nr. 1021,
Im Gutsarchiv Klosterhäseler können Sie hier recherchieren: H 124 Gutsarchiv Klosterhäseler, 1521-1896.