12. bis 18. Oktober: Gewalt oder Dialog
Mitte des Monats erreichten die Demonstrationen neue Dimensionen: 120.000 Menschen beteiligten sich am 16. Oktober in Leipzig.
Die Bürgerbewegung rief zu „unbedingter Gewaltlosigkeit“ auf, forderte den „offenen und öffentlichen Dialog“ und wollte den „Polizisten, Kampfgruppen, Sicherheitskräften Zeichen des Friedens“ geben.
Die Realität sah oft anders aus: In Eingaben und unveröffentlichten Leserbriefen prangerten Betroffene die „gewalttätigen Ausschreitungen der Sicherheitsorgane“ an.
Bürgerversammlungen und Mahnwachen für Inhaftierte bekannten sich zur „Selbstverpflichtung“ einer „strikten Gewaltfreiheit“.
Nicht nur in Halle zeigte sich, in wie engen Grenzen sich die staatliche Dialogbereitschaft bewegte.
Als „problematisch“ und „in der gegenwärtigen Zeit fast als ‚Kampfansage‘“ erschienen der SED auch Theaterinszenierungen, die nur dadurch „ruhig“ zu halten waren, „daß viele Genossen gekommen waren und gut verteilt, sichtbar im Zuschauerraum saßen.“
Die Bürgerbewegung forderte ernsthafte staatliche Dialogbereitschaft ein – „geht der Staat auf diese Forderung nicht ein, sollen die ‚Reformgruppen‘ ihre Dialogbereitschaft abbrechen und dann andere Mittel anwenden.“
In anschaulicher Direktheit beobachteten Partei und Staat eine Opposition, deren selbstbewusstes Auftreten noch wenige Monate zuvor unvorstellbar gewesen wäre.
Auch in den Betrieben nahmen die Diskussionen zu – zunehmend wurden umfassende Veränderungen eingefordert, die von der Ersatzteilversorgung über die Aufhebung von Reisebeschränkungen bis zur „Verbesserung der Arbeitsdiziplin“ reichten.
Um die DDR „wieder attraktiv und lebenswert für alle zu machen“ reichte es nicht aus, „nur neue Tapeten an die Wände zu kleben“ (so die Gewerkschafter eines Magdeburger VEB am Tag nach der Ablösung Erich Honeckers durch Egon Krenz).