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Ein Archiv für alle - 200. Jubiläum des Landesarchivs

1823 wurde in Magdeburg das Preußische Provinzialarchiv als Vorläuferinstitution des heutigen Landesarchivs gegründet. Damit jährte sich das Jubiläum des Landesarchivs 2023 zum 200. Mal. Zu diesem Anlass hatte das Landesarchiv bereits den Landesarchivtag am 14./15. Juni in seine Räumlichkeiten nach Magdeburg eingeladen. Mit dem Tag des offenen Denkmals wurde außerdem eine neue Dauerausstellung eröffnet, welche das Landesarchiv und seine Aufgaben einem breiten Publikum vorstellt. 

Festakt am 9. Oktober 2023

Am 9. Oktober 2023 fand die offizielle Jubiläumsfeier im Beisein der Innenministerin und rund 90 geladenen Gästen statt. 
Der Rückblick auf die 200-jährige Geschichte des Landesarchivs ist geprägt durch zahlreiche Gebäudewechsel, um den wechselnden politischen Anforderungen zu genügen. Mit dem 2011 erfolgten Wechsel in das umfunktionierte Kasernengebäude in der Brückstraße erfolgte jedoch auch der Neubau eines modernen Magazinbaus, der seitdem eine fachgerechte Lagerung des Archivguts ermöglicht. Doch gut zwölf Jahre später gehen die Kapazitäten – so wie prognostiziert – zur Neige. Innenministerin Dr. Tamara Zieschang betonte in ihrem Grußwort, dass die Umsetzung der bereits vorliegenden Pläne für einen zusätzlichen Magazinbau auf der aktuellen Agenda steht, um das heutige und künftige kulturelle Erbe des Landes Sachsen-Anhalt dauerhaft fachgerecht zu sichern. 
 

Dr. Frank M. Bischoff (Vorsitzender der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder) reflektierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede der preußischen Staatsarchivgründungen und wies auf die sich im Laufe der Zeit weiterentwickelnden Anforderungen an Archive hin. Auf dem Weg zur Öffnung der Archive und der Umsetzung eines „Jedermannsrechts“ zur Benutzung von öffentlichem Archivgut hat sich das Berufsbild immer wieder verändert: Waren die Archivare des 19. Jahrhunderts noch zu einem großen Teil Juristen, verlagerte sich der Schwerpunkt im Laufe des 20. Jahrhunderts auf Historiker und Historikerinnen. Obwohl im 21. Jahrhundert im höheren Archivdienst immer noch der geschichtswissenschaftliche Hintergrund dominiert, ist das Aufgabenspektrum breiter gefasst denn je. Um die Verwaltung in der Schriftgutverwaltung und der Einführung von E-Akten-Systemen zu unterstützen, eine Transparenz des Verwaltungshandelns abzubilden und hinreichende Forschungsmöglichkeiten zu eröffnen, sind zugleich umfassende informationswissenschaftliche und Informatik-Kenntnisse erforderlich. 
 

Ralf Jacob (Vorsitzender des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare) und Dr. Frank Kreißler (Vorsitzender des VdA-Landesverbandes Sachsen-Anhalt) hoben in ihren Grußworten die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Land und Kommunen hervor, um gemeinsamen Herausforderungen, unter anderem im Bereich der Digitalen Archivierung zu begegnen. Mit dem DAN-Beitritt Sachsen-Anhalts und der gemeinsamen Nutzung eines Digitalen Magazins und der DIMAG-Software ist ein erster Schritt gemacht. Eine weiterführende Unterstützung der Kommunen sei jedoch ebenso wie eine Anpassung des Archivgesetztes erforderlich. 

In den Festvorträgen führten der Leiter des Landesarchivs, Dr. Detlev Heiden sowie die Standortleiter Dr. Ralf Lusiardi (Magdeburg), Dr. Björn Schmalz in Vertretung von Frau Dr. Lehmann (Merseburg) und Dr. Hermann Kinne (Dessau) durch die Geschichte des Landesarchivs und seiner Standorte. Diese Beiträge sind jetzt im aktuellen Heft der Archive in Sachsen-Anhalt nachzulesen, das Anfang 2024 auch online verfügbar ist. Hier sind auch die Vorträge von Prof. Dr. Mario Glauert (Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs) und Thomas Bechstein (Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Baudirektion SIP) veröffentlicht. 
 
 

Glauert thematisierte die allerorten rückläufigen Lesesaalbenutzungstage. Entgegen der bisherigen Lesart seien sie nicht unbedingt Ausweis einer nachlassenden Attraktivität der Archive, sondern vielmehr einer sich verändernden Nutzungserwartung, digitale Angebote ortsunabhängig wahrnehmen zu können. Komme ein Archiv dem mit einer zielführenden Digitalisierungsstrategie entgegen, führe dies nicht zu steigenden, sondern zu sinkenden Lesesaalnutzungszahlen, gleichwohl aber zu einer komfortableren Nutzung. Und letztere müsse schließlich das prioritäre Ziel sein. Archive können nicht voraussetzen, dass Nutzende zu ihnen kommen. Denn es geht darum, die Informationen zu den Menschen zu bringen, nicht umgekehrt. 

Bechstein beschrieb die dynamischen Herausforderungen, die unter anderem der Klimawandel Archivmagazinen und Kulturdepots stellt. Vor diesem Hintergrund stellte er die Tätigkeit der Kulturstiftung und die Planungen für ein zeitgemäßes zentrales Kulturdepot vor. Dabei betonte er die Bedeutung individueller und vorausschauender baulicher, technischer und organisatorischer Lösungen. 

 

Musikalisch begleitet wurde die Festveranstaltung durch das Streichquartett des Konservatoriums Georg Philipp Telemann
 

Workshop am 10. Oktober 2023

Am 10. Oktober 2023 folgte ein Workshop unter dem Titel „Landesarchive nach der Friedlichen Revolution“, in dessen Rahmen die Landesarchive der vormals neuen Länder eine Zwischenbilanz der letzten drei Jahrzehnte zogen. 

Dr. Jelena Steigerwald (Landesarchiv Sachsen-Anhalt) stellte den Hausbestand des Landesarchivs vor, der unlängst intensiv erschlossen wurde, um ihn für eine Erforschung zugänglich zu machen. Das dabei gesichtete Material nutzte sie für einen mit Fotos unterlegten Rundgang durch die Geschichte des Landesarchivs und seiner Standorte. Gleichzeitig erläuterte sie die Herangehensweise bei der Erschließung des Hausbestandes und die dabei auftretenden praktischen Fragen. 

Die erste, von Dr. Ralf Lusiardi (Landesarchiv Sachsen-Anhalt) geleitete Sektion behandelte die Überlieferungsbildung – „Königsdisziplin“ zwischen Aufarbeitungen und neuen Perspektiven
Uwe Grandke (Landesarchiv Thüringen) widmete sich der systematischen Bewertung von Beständen der Wirtschaftsüberlieferung anhand der VEB Bestände Rudolstadt. Wirtschaftsbestände nehmen in den Landesarchiven der ehemals neuen Länder einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtüberleiferung ein. Eine einfache Bewertung anhand von Aktentiteln stößt aufgrund der fehlenden Aussagekraft schnell an Grenzen, ebenso wie die Orientierung an Parallelüberlieferungen, die oftmals schwer zu ermitteln sind. Letztlich seien für jeden Wirtschaftsbestand individuelle Lösungen zu konzipieren. 
Raymond Plache (Sächsisches Staatsarchiv) hob ebenfalls den immens hohen Anteil der Wirtschaftsüberlieferung an der Gesamtüberlieferung des Sächsischen Staatsarchivs hervor, und zeigte Bewertungskonzepte für Zeichnungen und Fotos auf. 
Björn Bürger (Landesarchiv Berlin) beschrieb dagegen die strategische Neuausrichtung des Landesarchivs Berlin nach der Deutschen Einheit. 1991 wurden das Landesarchiv (West), das Stadtarchiv (Ost), das Verwaltungsarchiv des Magistrats sowie das Büro für stadtgeschichtliche Dokumentation und technische Dienste zusammengeführt. Hierbei galt es, westdeutsche und ostdeutsche Traditionen in einer strategischen Neuausrichtung der Überlieferungsbildung zusammenzuführen. 
 

Die zweite, von Dr. Björn Schmalz (Landesarchiv Sachsen-Anhalt) moderierte Sektion nahm die Erschließung – Von der OVG zur digitalen Nutzerorientierung in den Blick. 
Angesichts erheblicher Erschließungsrückstände reflektierte Ralph Baganz (Landesarchiv Berlin) die Perspektiven von (Erschließungs-)Projekten in Archiven. 
Stephanie Eifert (Landesarchiv Sachsen-Anhalt) stellte ein solches Projekt am Beispiel der Erschließung der Mansfeld-Überleiferung vor und hob die die Schwierigkeiten einer bislang uneinheitlichen Erschließung hervor. Die Aufwände können sich jedoch lohnen, indem nicht nur Lücken in der Erschließung reduziert werden, sondern sich zugleich Chancen zum fachlichen Austausch und zum Wissensaufbau bieten. 

Die abschließende, dritte Sektion unter der Moderation von Dr. Detlev Heiden (Leiter des Landesarchivs) nahm den Wandel der Archivorganisation, insbesondere im Zuge der Deutschen Einheit in den Blick. Die Leitungen der Landesarchive der vormals neuen Länder, Prof. Dr. Mario Glauert (Brandenburgisches Landeshauptarchiv), Thomas Wagner (Landesarchiv Thüringen), Prof. Dr. Uwe Schaper (Landesarchiv Berlin), Dr. Martin Schoebel (vorm. Landesarchiv Mecklenburg-Vorpommern) und Dr. Andrea Wettmann (Sächsisches Staatsarchiv) berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen und beschrieben akute und perspektivische Handlungsbedarfe, insbesondere im Bereich der Archivorganisation und Personalausstattung. 

Mit der zweitägigen Veranstaltung von Festakt und Workshop konnte das 200-jährige Jubiläum in den Kontext der preußischen Archivgründungen sowie der Landesarchive der ehemals neuen Länder eingebettet werden. Die beiden Festtage haben gezeigt, dass bei allen Wegen und Umwegen, welche die Archive im Laufe der Jahrhunderte genommen haben, sie gemeinsame, dauerhafte Herausforderungen meistern müssen. Für eine fachgerechte Aufbewahrung und Bereitstellung von analogem und digitalem Archivgut sind moderne Archivmagazine, eine digitale Infrastuktur, hinreichende Mittel für Digitalisierungsprojekte und insbesondere qualifiziertes Personal in einer effizienten Organisationsstruktur unabdingbar. Um auch in weiteren 200 Jahren ein Erinnern zu ermöglichen, müssen heute die Grundlagen gelegt werden.