Die Rettung anhaltischer Archivalien im Zweiten Weltkrieg: Solvayhall bei Bernburg
In der 150-jährigen Geschichte des Anhaltischen Haus- und Staatsarchivs, beginnend 1872 im Schloss Zerbst, stellte der Zweite Weltkrieg einen dramatischen Einschnitt dar. Der Zerbster Fliegerhorst der Luftwaffe stellte mit seinen Jagdgeschwadern ein strategisch wichtiges Angriffsziel dar. Seit Juni 1940 zählte man in Zerbst 341 Luftalarme. Das dreiflügelige Barockschloss beherbergte zu dieser Zeit im Corps de Logis u.a. das Anhaltische Staatsarchiv. Seit 1942 leitete Archivar Wolf-Heino Struck die Auslagerung der Anhaltischen Archivalien, um Verluste durch die Kriegshandlungen abzuwenden. Die Akten fanden unter anderem Schutz in den Schachtanlagen der Deutschen Solvay-Werke Bernburg, deren Überlieferung wiederum heute am Standort Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt verwahrt wird. Die Transporte werden darin genau geschildert: Am 4. September 1942 fragte Struck erstmals an, ob „wertvolle Archivschätze“ eingelagert werden könnten und drei Monate später trafen die ersten fünf Kisten im Schacht Solvayhall ein. Die Anfragen für Einlagerungen anderer Archive, Museen oder Bibliotheken erschöpften zwischenzeitlich die Kapazitäten, so dass erst nach Erweiterung der Schachtanlagen die nächsten Transporte der anhaltischen Archivalien am 2. und 3. April sowie am 7. Mai 1944 folgen konnten. Der letzte Eisenbahnwaggon mit Akten wurde am Sonntag, den 4. Juni 1944, in Solvay erwartet. Im First 3 der Schachtanlage brachte man letztlich „31 Kollis und mehrere Aktenbündel“ unter, für deren Einlagerung 290,21 RM berechnet wurden.
Noch in den letzten Kriegstagen, am 16. April 1945, wurde die Stadt Zerbst mit 206 Tonnen Spreng- und Brandbomben von der 9th Air Force angegriffen und zu 80 % zerstört. Anfang August 1945 erkundigte sich der aus dem Krieg zurückgekehrte Archivar Reinhold Specht „ob Archivalien noch vorhanden sind, dessen Wert sich durch die fast völlige Zerstörung der noch im hiesigen Schloss lagernden Bestände sehr erhöht hat“.
Die ausgelagerten und aus den Ruinen des Zerbster Schlosses geborgenen Archivalien wurden nach und nach in das neue Domizil, Schloss Oranienbaum, verbracht. Zahlreiche Listen verdeutlichen die Odyssee der Archivalien-Rückführung bis in die 1980er Jahre hinein.
Das Archivale ist online recherchierbar.