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Abschlussveranstaltung der Jüdischen Kulturtage mit Präsentation des neuen Hefts der QuellenNAH-Reihe

Von März bis Juni 2022 wurde landesweit mit verschiedensten Veranstaltungen jüdische Kultur, Musik und Tradition in Sachsen-Anhalt gefeiert. Zum Abschluss der Kulturtage lud das Landesarchiv dazu ein, die über 1000-jährige Geschichte jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt anhand archivischer Quellen zu betrachten und präsentierte Heft 7 der Reihe QuellenNAH, unter dem Titel „Zu Hause in Sachsen-Anhalt: Jüdinnen und Juden zwischen Verfolgung, Selbstbehauptung und Anerkennung“.

Unter musikalischer Begleitung des Ensemble Shoshana begrüßten der Leiter des Landesarchivs, Herr Dr. Detlev Heiden und Herr Dr. Anton Hieke vom Leopold Zunz e. V. gut 80 Gäste, darunter die Innenministerin, Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Gemeinden und Forschungseinrichtungen, zu einer abwechslungsreichen Festveranstaltung.

Innenministerin Dr. Tamara Zieschang zog in ihrem Grußwort eine positive Bilanz: Die ersten Jüdischen Kulturtage in Sachsen-Anhalt boten landesweit vielfältige Einblicke in 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Es wurde ein facettenreiches Programm rund um Kultur, Tradition, Geschichte und Religion angeboten. Die Fortsetzung der Reihe QuellenNAH im Rahmen der Abschlussveranstaltung sei besonders hervorzuheben, da sie mit aufschlussreichen Quellen und Dokumenten lokale Bezugspunkte liefert und jüdisches Leben für Schülerinnen und Schüler mit ihren eigenen Heimatorten verknüpft.

Der Vorsitzende des Landesverbands jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Herr Max Privorozki betonte den Wert der Jüdischen Kulturtage, welche einen Eindruck von der Vielfalt des Judentums vermitteln. Das Judentum lasse sich nicht auf den Holocaust oder den Staat Israel reduzieren, sondern sei in vielfältiger Weise in Sachsen-Anhalt verankert. Dabei stelle sich nicht die Frage, ob Jüdinnen und Juden sich zu Hause fühlen. Nachgewiesenermaßen sind sie seit über 1.000 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt zu Hause.

Prof. Dr. Ottfried Fraisse (Seminar für Judaistik / Jüdische Studien Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) erinnerte an das Wirken des Namensgebers des Leopold Zunz e. V., der in Reaktion auf die antisemitischen Hep-hep-Krawalle in den 1820er Jahren den Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden gründete. Durch die Erforschung des Judentums sollte die Bedeutung der jüdischen Kultur für die deutsche Gesellschaft im Sinne einer Einheit in Vielfalt hervorgehoben werden.

In seiner Einführung problematisierte Herr Dr. Wolfgang Schneiß als Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus den Begriff „Festjahr“ für 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Auch angesichts jüngerer antisemitischer Vorfälle war es eine Feier unter Vorbehalt und mit Zweifeln. Das intensive Engagement aller beteiligten Institutionen und Freiwilligen habe aber eindrücklich gezeigt, dass jüdisches Leben fest zu Deutschland gehört. Antisemitismus ist weder eine Meinung noch von der Kunstfreiheit gedeckt. Die erfolgreichen Jüdischen Kulturtage sollten deswegen ebenso wie die laufenden Netzwerkaktivitäten fortgeführt werden, um 2023 erneut jüdisches Leben zu feiern.

Herr Andreas Schmitges und Herr Dr. Anton Hieke zogen ebenfalls ein positives Fazit und warfen einen Ausblick: An den über 160 Veranstaltungen nahmen quer durch Sachsen-Anhalt mehr als 6.000 Besucherinnen und Besucher teil und bekamen jüdische Kultur „made in Mittel-deutschland“ geboten.

Als historisches Gedächtnis des Landes Sachsen-Anhalt leistet das Landesarchiv einen zentralen Beitrag zum Verständnis historischer Zusammenhänge und zur Entwicklung einer Landesidentität und zur Demokratieförderung. Der Leiter des Landesarchivs, Herr Dr. Detlev Heiden hob in seiner Einführung die didaktische Aufbereitung aussagekräftiger Quellen in der Reihe QuellenNAH hervor: Diese ermögliche eine aktive Auseinandersetzung mit Geschichte innerhalb der lokalen Lebenswelt und liefere damit Angebote zur individuellen Identitätsbildung mit Bezug auf die Landesidentität. Landesidentität bedürfe der historischen Ableitung und könne nicht im geschichtsvergessenen Nebeneinander entstehen. Das Landesarchiv sichert nicht nur die Quellen, die Grundlage eines kritischen Geschichtsbewusstseins sind, sondern macht das historische Gedächtnis für eigenverantwortliche Aneignungen zugänglich.

Frau Dr. Riccarda Henkel und Herr Dr. Björn Schmalz erläuterten das Konzept der Reihe QuellenNAH, Schülerinnen und Schülern sowie historisch Interessierten einen unkomplizierten und zugleich professionellen Zugang zu Originalquellen zu eröffnen, die so nicht in den Schulbüchern zu finden sind, und eine eigenständige, kritische Auseinandersetzung mit Geschichte fördern. Die Reihe möchte einen multiperspektivischen Zugang zu Geschichte bieten und die Kompetenz vermitteln, Quellen zu analysieren und zu reflektieren.

Den Hauptvortrag hielt die Autorin des neu erschienen Hefts 7, Christina Wirth. Unter dem Titel „Zu Hause in Sachsen-Anhalt: Jüdinnen und Juden zwischen Verfolgung, Selbstbehauptung und Anerkennung“ hat sie aussagekräftige Archivquellen didaktisch aufbereitet und mit spannenden Hintergrundinformationen versehen, um einen regionalen Längsschnitt durch Sachsen-Anhalt zu bieten und forschendes Lernen zu ermöglichen. In ihrem Vortrag forderte sie gegenüber dem alten Narrativ einer passiven jüdischen Opfer- bzw. Verfolgungsgeschichte ein neues Narrativ: Die Auseinandersetzung mit dem didaktisch aufbereiteten Quellenmaterial ermöglicht eine multiperspektivische Sicht auf jüdisches Leben als aktiven Teil der Regional- und Landesidentität. Gegenüber dem veralteten Narrativ einer einseitigen Opfergeschichte, das jüdischen Personen eine passive Opferrolle zuweist, rief Frau Wirth dazu auf, jüdisches Leben als aktiven Teil einer eng verflochtenen über 1.700-jährigen jüdisch-deutschen Geschichte zu betrachten. Nicht nur das Quellenstudium, auch die Jüdischen Kulturtrage haben gezeigt: Jüdisches Leben ist zu achten, zu schätzen und zu schützen. Das Heft QuellenNAH 7 biete dabei nur einen kleinen Eindruck von der vielfältigen Überlieferung jüdischen Lebens. Dieser verstehe sich als Aufruf an alle Interessierten, selbst ins Landesarchiv zu kommen und weiterführende Recherchen anzustellen.

Bei Musik des Ensemble Shoshana und jüdischen Leckereien bestand anschließend die Gelegenheit zum weiterführenden Austausch und einem Ausklingen der Jüdischen Kulturtage im gemütlichen Beisammensein. Mit den Jüdischen Kulturtagen und den Angeboten des Landesarchivs wurde noch einmal deutlich, dass Jüdisches Leben in Deutschland nicht nur eine lange Geschichte hat, sondern ein lebendiger und kreativer Bestandteil unserer Gesellschaft ist.

Das Angebot des Landesarchivs steht allen Interessierten zur Verfügung: Heft 7 kann ebenso wie die bislang erschienen Hefte 1-6 zu den Themen „Repression und Handlungsspielräumen“, „Jugend und Erziehung“ sowie „Wirtschaft und Arbeit“ im Nationalsozialismus und in der DDR über die Landeszentrale für politische Bildung bestellt werden oder direkt online über die Website des Landesarchivs aufgerufen werden: https://landesarchiv.sachsen-anhalt.de/onlineangebote/quellennah/