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Verbreitung antisemitischer Druckschriften in Magdeburg, 1920

Quellenkritische Einordnung

Der im Folgenden beschriebene Vorgang umfasst Schriftwechsel, Dokumente und Verfügungen vom 30. August bis zum 22. Dezember 1920 und befindet sich in einer von drei Akten (C 29, Nr. 149, 150, 151), die im Bestand des Polizeipräsidiums Magdeburg seinerzeit unter dem Titel „Agitationen gegen und für die Juden (Antisemitismus)“ angelegt worden sind. Insgesamt dokumentieren die drei Akten über den Zeitraum von 1891 bis 1922 das Verwaltungshandeln der Polizei in Erfüllung der ihr gemäß dem Preußischen Preßgesetz [heutige Schreibweise: Pressegesetz] vom 12. Mai 1851 (GS Nr. 3392) sowie den nachfolgenden Anpassungen von 1874 und 1919 übertragenen Aufgaben und Befugnisse.

Inhaltliche Einordnung

Ausgangspunkt des Vorgangs ist ein nicht näher erläuterter Hinweis aus „Judenkreisen“, wonach nachts „Zettel mit aufreizendem Inhalt gegen die Juden“ im Stadtgebiet angeklebt werden sollten. Diesem Hinweis folgend, wurden Revier- und Sicherheitspolizei alarmiert und angewiesen, ggf. einzuschreiten. Ein vom 31. August datierter Bericht der Kriminalpolizei Magdeburg protokolliert dann eine Anzeige wegen eines Vergehens gegen § 10 des Preßgesetzes: „Ankleben von Druckschriften antisemitischen Inhalts durch Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes in Hamburg, Ortsgruppe Magdeburg“. Nach damaliger staatlicher Einschätzung soll es sich bei dieser Organisation um den größten und einflussreichsten antisemitischen Verband in Deutschland gehandelt haben. In der Anzeige werden dessen Mitglieder als „jüngere Leute gebildeter Stände, wie höhere Schüler, Kaufleute usw.“ beschrieben; die Mitgliederzahl wird für die Magdeburger Ortsgruppe mit 750 angegeben.

Dass der Vorgang auch seitens der Presse Beachtung fand, belegt ein in der Magdeburgischen Zeitung vom 1. September 1920 unter der Überschrift „Eine widerliche Judenhetze“ erschienener Artikel, der die Tat scharf verurteilte und gleichzeitig die Tätigkeit der Sicherheitspolizei als unzureichend kritisierte. Am 6. September veröffentlichte wiederum die Volksstimme eine wohl als Erwiderung gedachte Mitteilung des Polizeipräsidiums: „Den antisemitischen Schmutzereien, die sich überall auf den Straßen (…), Häusern, Schaufenstern usw. (…) bemerkbar machen, ist die Polizei energisch zu Leibe gegangen.“

Im Weiteren enthält die Mitteilung die polizeilichen Erkenntnisse zum Schutz- und Trutzbund sowie die Information über die Einleitung eines Strafverfahrens gegen zwei namentlich genannte Personen.

Gleichwohl legt ein interner Bericht vom 8. September die Vermutung nahe, dass es mindestens bei der Sicherheitspolizei eine stillschweigende Zustimmung zu den Inhalten der angeklebten Zettel gegeben haben muss, da die diensthabenden Beamten in der fraglichen Nacht keine Aktivitäten wahrgenommen haben wollten und erst die Revierbeamten am nächsten Tag die Zettel bemerkt und eine Entfernung veranlasst hätten.

Das erwähnte Strafverfahren fand am 11. Oktober vor dem Schöffengericht Magdeburg seinen gerichtlichen Abschluss und endete mit der Verurteilung eines Angeklagten zu einer Geldstrafe von zehn Mark, hilfsweise zu je fünf Mark mit einem Tag Haft.

 

Überlieferungsgeschichte

Die Kontrolle der Presse oblag in Preußen seit 1851 mit Erlass des Preußischen Preßgesetzes wie auch im späteren Deutschen Reich mit dem Reichspreßgesetz vom 7. Mai 1874 (RGBl. S. 65) der Polizei und der Verwaltung. Lediglich die abschließende Feststellung einer strafbaren Handlung lag bei den Gerichten. Die Pressegesetzgebung sah beispielsweise vor, dass von den im Inland erscheinenden Zeitungen, Zeitschriften oder Druckschriften je ein Pflichtexemplar gegen eine zu erteilende Bescheinigung bei der zuständigen Polizeibehörde einzureichen war. Im Weiteren durften auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen Druckschriften oder Ähnliches nur nach zuvor erteilter Genehmigung durch die entsprechende Polizeibehörde angebracht werden. Bei Feststellung von Zuwiderhandlungen war die Polizeibehörde befugt, eine gerichtliche Untersuchung herbeizuführen bzw. bei strafbaren Inhalten das jeweilige Druckerzeugnis zuvor zu beschlagnahmen.

Im Zuge dieser Kontroll- und Überwachungsaufgabe sind beim Polizeipräsidium Magdeburg zahlreiche Akten entstanden. Hierin finden sich unter anderem Vorgänge im Zusammenhang mit der Genehmigung von Druckschriften zu ganz verschiedenen Anlässen, von politischen Veranstaltungen bis zu Reisevorträgen, von Werbeprospekten bis Tanzveranstaltungen.

Zwei der drei Akten (C 29, Nr. 149, 150, 151) die beim Polizeipräsidium Magdeburg ausdrücklich für die Kontrolle antisemitischer Druckschriften angelegt worden sind, enthalten zudem Ausgaben der in Dresden zwischen 1892 und 1901 in loser Folge erschienenen antisemitischen Karikaturenserie „Politischer Bilderbogen“.